CHRISTIAN MORGENSTERN:
GALGENLIEDER
Das aus "Galgenlieder", "Palmström", "Gingganz" und "Palma Kunkel" bestehende
Gedichtkonglomerat eignet sich bestens zur Irritation gewöhnlicher Erwartungshaltungen
gegenüber der Lyrik. Von wegen: tief und schwersinnig! Hier kommen das Wortspiel
und der hintergründig- oberflächliche Witz auf ihre Kosten. Das bisherige,
von Experten andächtig bestaunte Arsenal klassischer Dichtkunst ist Morgenstern
nicht mehr länger heilig: Er formt munter lose Stilblüten und Kalauer aus
der ehrwürdigen Sprache. Er schafft die museal erstarrte Form um zur Chiffre
einer neuen, anarchischen Bedeutungslosigkeit, die den Interpretatoren lange
Zeit Ärger und Mühe bereitet hat. Dabei ist alles ganz einfach: Man nimmt
nur Worte, Silben, Laute, und gibt ihnen in beliebiger (aleatorischer) Kombination
einen neuen Kontext. Und schon ist ein Gedicht fertig.
Morgenstern zählt seiner Respektlosigkeit gegen die ehrwürdige Lyriktradition
wegen zu den "underdogs" der Lyrik: gerne gescholten oder schlichtweg ignoriert.
Aber Kunststücke, wie z.B. "Fisches Nachtgesang", das seine eigene (metrische)
Form zum Inhalt hat und sich selbst als inhaltsleere Struktur präsentiert,
sind einfach nicht wegzudenken oder lediglich als Ausfälle zu etikettieren.
Es ist bekannt, daß Morgensterns Gedichte gerade wegen ihrer oberflächlichen
Naivität und ihrer anarchischen Freude am Nonsens junge Menschen zu eigenen
dichterischen Versuchen ganz ungezwungen ermutigen. Das spielerische Ausprobieren
und der experimentelle Umgang mit Sprache sind kaum je so dicht und unmittelbar
erfahrbar, wie in den "Galgenliedern". Insofern hat hier ein großer Dichter
sein Ziel erreicht.
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