FRANZ KAFKA:
DAS SCHLOSS
Das letzte Romanfragment Kafkas zeichnet - wie kaum anders zu erwarten -
ein Bild verkümmerten und frustrierten Lebens, das sich gegen sein sinn-
und nutzloses Vegetieren nur dadurch wehrt, daß es zunächst annimmt, ein
Ziel zu haben.
Der Landvermesser K. sucht Einlaß in das Schloß - und erhält ihn nie. Das
System, zu dem auch das am Fuße des Schlosses gelegene Dorf gehört, ist
immanent nicht aus den Angeln zu heben und retardiert jede Bemühung des
farblos gezeichneten Protagonisten, der sich jedwede Beziehung innerhalb
der nur schwer durchschaubaren Systemstruktur zunutze machen will, sein
ehrgeiziges Ziel zu erreichen. Es gibt Kontakte, aber keine Begegnungen.
Man redet aneinander vorbei mit vielen Worten. Verstehen und Verständnis
werden zur Illusion. Das ist der vollständig isolierte und entfremdete Mensch
in einer kalten und auf ihre Funktion reduzierten Welt. Ein Alp, der längst
aufgehört hat, Traum zu sein.
Man liest diesen Text sehr unterschiedlich. Die Kafka-Exegese ist bis heute
uneins. Vielleicht ist dies das signifikanteste Merkmal kafkascher Texte:
Daß man mit ihnen nicht fertig wird. Religiöse, existenzialistische, psychologische,
materialistische, historische etc. Deutungen bemühen sich, der Sache auf
die Spur zu kommen. Und doch bleibt zuletzt jeder Leser allein mit diesem
Text, der wie ein kalter, erratischer Block in der Literaturlandschaft steht
- ohne Vorläufer und ohne (nennenswerte) Resonanz.
Natürlich lassen sich konkrete Einzelheiten hervorheben: die tragische Ironie
der verpaßten Gelegenheit, die Unmitteilbarkeit der guten Absicht, die Verdinglichung
menschlicher Beziehungen ... Und doch ist all das noch nicht das Ganze des
Textes, der in seiner sprachlichen Schmucklosigkeit die Sprachlosigkeit
des auf sich selbst gestellten und zurückgeworfenen Individuums angesichts
des unmenschlichen Mechanismus' einer nicht zu bewältigenden Welt vorstellt.
Doch wie schon die Türhüter-Legende im "Prozeß", so läßt auch das "Schloß"
die Möglichkeit offen, daß es ein Ziel, einen Weg, eine Erfüllung gibt -
jedoch weltimmanent nicht einlösbar. Das Ziel wird immer verfehlt, die Botschaft
immer überhört, das Lächeln immer mißverstanden.
Als sein bester Freund, Max Brod, ihn einmal fragte: "Gibt es denn gar keine
Hoffnung?", soll Kafka geantwortet haben: "Aber ja! Es gibt unendlich viel
Hoffnung. Nur nicht für uns."
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Ernst
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