Wovon die Wölfe träumen. Roman.
Yasmina Khadra, Aufbau 2003





Geburt eines Fanatikers

Yasmina Khadra hat ein Buch über einen jungen Mann in Algerien geschrieben und den Weg, der ihn islamischen Fanatikern in die Hände treibt.

Nafid Wali lebt in der Kasbah von Algier und sein großer Traum ist es, Filmschauspieler zu werden. Einmal gelingt es ihm sogar, eine Rolle in einem algerischen Schmachtfetzen zu ergattern, doch weitere Rollen erhält er nicht und schließlich arbeitet er als Chauffeur einer der reichen algerischen Familien, die weit weg von der Kasbah ihr eigenes Leben in gut bewachten europäischen Villen leben. Sohn und Tochter chauffiert er zu den Nobeldiskos, dem Hausherrn kutschiert er die Geliebten durch die Nacht und oft sitzt er nur da und wartet, dass es etwas zu tun gibt.

Der Sohn gabelt eine fünfzehnjährige Streunerin auf, die heroinsüchtig ist und an einer Überdosis stirbt. Nafid muss die Leiche entsorgen und außerdem den Mund halten - seine Arbeitgeber sind mächtig genug, im Einparteienstaat Algeriens jede Untersuchung des Todesfalls zu verhindern. "Unser Staat ist ein Rechtsstaat. Das lässt sich nicht leugnen. Aber man muss auch präzisieren, was für ein Recht das ist ... Ein einziges, einmaliges, unteilbares Recht: das Recht, den Mund zu halten."

Nafid sucht Trost in der Religion, vertraut sich dem Imam seines Viertels an. "Das war das Beste, was dir widerfahren konnte, Bruder", sagt der ihm, " Du hattest Träume, hattest Ambitionen. Du warst voll Lebenshunger. Und Gott hat dich dorthin geführt, wo du hinwolltest - um dir die Augen zu öffnen. Du hast den Luxus kennen gelernt, die Macht, die Überheblichkeit. Jetzt weißt du es: Ihre Extravaganzen, ihre schrille Angeberei sind nur dazu da, die hässliche Nichtigkeit ihres Tuns zu überdecken [...] Jetzt weißt du, was gerecht ist und was ungerecht. Denn Armut besteht nicht darin, kein Geld, sondern keine Richtschnur zu haben."

Der Besuch des Gottesdienstes jeden Freitag, das Gefühl, in der Gemeinschaft der Gläubigen aufgehoben zu sein, trösten Nafid. Wir schreiben 1988 und die Islamisten beherrschen immer mehr das öffentliche Leben in Algerien. Sie betreiben Garküchen für die Armen, kümmern sich um Familien, deren Ernährer im Gefägnis sitzen, Nafid erhält ein Taxi und hat eine Aufgabe, fühlt sich als nützliches Glied einer großen Gemeinschaft.

Und Frauen auf der Straße, die europäisch gekleidet sind, werden beschimpft. Garküchen und Fanatismus, beides gewinnt an Boden bis zu den Wahlen, die die Islamisten gewinnen, bis zum Putsch, der das Parlament auflöst und den Bürgerkrieg einleitet. Jetzt sind es nicht mehr Garküchen, durch die die Islamisten von sich reden machen - jetzt sind es Morde. Und wie viele andere, wird auch Nafid in diesen Abgrund gerissen, wird zum Partisan Gottes, der über Leichen geht, um das Paradies zu schaffen und in der Hölle zu enden.

Der Autor hat mit diesem Buch einen Lebenslauf geschaffen, der zeigt, wie Menschen in den Bann des Fanatismus geraten und den Leser erahnen lässt, was hinter den blutigen Gemetzeln im Algerien der Neunziger Jahre abgelaufen sein mag. Nur ein Lebenslauf, sicher nicht typisch, sicher nicht der einzige, aber sicher ein Beispiel, der uns das Unfassbare verstehen lässt. Bereits 1999 geschrieben, aber immer noch aktuell. Das Buch sollte jeder lesen, der sich für Zeitgeschichte interessiert und für die Schicksale, die sich hinter den Schlagzeilen verbergen.

Über den Autor: Yasmina Khadra ist das Pseudonym eines algerischen Offiziers, der 2001 nach Frankreich flüchtete. Er schrieb auch "Die Schwalben über Kabul" und Kriminalromane aus Algier.

Yasmina Khadra, Wovon die Wölfe träumen.
Aufbau 2003
ISBN 3-7466-1978-5
€8,95

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