Der kälteste Winter.
Paula Fox, C.H. Beck, Februar 2006


Erinnerungen an das befreite Europa

"Als ich in Paris den Zug bestieg, war ich zu jung und zu dumm, mich wegen meiner Fahrt in ein faschistisches Land zu sorgen; ich machte mir nur Gedanken um meine schmale Reisekasse. Doch zwei Tage nach meiner Ankunft in Barcelona wurde ich mit einem Mann bekannt gemacht, der meine Pfund zu gutem Kurs gegen Peseten umtauschte. (Die spanischen Banknoten waren in Leipzig gedruckt worden.) Er war Arzt und Republikaner, dem von den Falangisten verboten worden war, weiter zu praktizieren. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich durch allerlei Schwarzmarktgeschäfte."

Im Frühsommer 1946 reist Paula Fox nach Europa. Eigentlich sucht sie nur eine Möglichkeit, New York zu entkommen, denn sie glaubt, die Probleme ihres 23jährigen Lebens würden verschwinden, wenn sie nur den richtigen Ort finden würde.

Stattdessen findet sie Städte in Trümmern, Menschen, die vom Krieg, von Verfolgung, Hass und Widerstand gezeichnet sind. Paris, Warschau, London und das immer noch faschistische Spanien sind die Stationen dieser Reise. Das junge Mädchen ist naiv, aber nicht dumm und sie nimmt Details war. Zunächst denkt der Leser, sie beschreibt eben, was sie sieht und das stimmt auch. Doch hinter all jedem Detail schlummert eine Geschichte. Die amerikanische jüdische Journalistin, die so spröde die vornehme Madam spielt - eines Nachts gesteht sie, wie furchtbar es für sie ist, dass sie als einzige kein Familienmitglied im Holocaust verloren hat. Das Modell, das ein Medizinstudium beginnt und nach dem Examen in Winterurlaub fährt - dort bringt sie sich um.

Als Fox nach Amerika zurückkommt, weiß sie: "Der zweite Weltkrieg hatte überall in Europa solche Zerstörungen angerichtet, Millionen und Abermillionen Menschen waren dahingemetzelt worden, und doch hatte mein Jahr mir etwas jenseits meines eigenen Lebens gezeigt, hatte mich von Ketten befreit, von deren Fesseln ich gar nichts geahnt hatte, hatte mich etwas anderes sehen lassen, als mich selbst.

Paula Fox ist eine Meisterin der kleinen Geschichten und das zeigt sie auch in diesen Reportagen, in ihren Erinnerungen an ein Europa in Trümmer. Mit wenigen Worten kann sie im Leser einen Film ablaufen lassen und beweist einmal mehr, dass sie zu den ganz großen Schriftstellerinnen unserer Zeit gehört. Und manchem, der ihre Reportagen liest, mag es danach scheinen, als ob all die Heroen unserer Feuilletons, ganz gleich, wie wichtig sie sich nehmen, ganz gleich, ob sie Günther Grass oder Botho Strauss heißen, daneben wie drittklassige Provinzschreiberlinge aussehen.

Fazit: Eindrückliche Reportagen aus Europas kältesten Zeiten von einer Meisterin der Wörter.

Leseprobe

Über die Autorin: Paula Fox wurde 1923 in New York geboren, ihr Vater war Ire, ihre Mutter Kubanerin. Ihre Kindheit verbrachte sie in wechselnden Umgebungen, darunter ein Kinderheim und eine Plantage im Dorf ihrer Mutter auf Cuba. Als sie zwölf war, hatte sie bereits neun verschiedene Schulen besucht. Sie schrieb mehrere Kinderbücher und gewann 1978 den Hans Christian Anderson Preis, hat drei Kinder und mehrere Enkelkinder.
Selbst in den USA war sie für lange Zeit vergessen gewesen und wurde erst kürzlich wiederentdeckt, in Deutschland war sie bis vor kurzem so gut wie unbekannt.


Der kälteste Winter, Paula Fox, C.H. Beck, Februar 2006
Originaltitel: The Coldest Winteraus; aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke
ISBN 3-406-54208-5, Hardcover, 128 Seiten, 16,90 €

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