So wie ich will. Sachbuch.
Melda Akbas, C.Bertelsmann Mai 2010
Gerne beschreiben Bücher über Islam und Deutschtürken allgemeine Diskurse, was im Koran steht, wer was wo predigt, aber selten das konkrete Leben der Deutschtürken. Melda Akbas macht da eine rühmliche Ausnahme. Sie ist 18, macht gerade ihr Abitur und schreibt frei von der Leber weg von ihren Erfahrungen und Erlebnissen.
Die Einwände des Vaters, wenn sie zu "gewagt" auf die Strasse geht, aber auch, wie erstaunt sie ist, als Mutter und Vater plötzlich frisch verliebt aus dem ersten gemeinsamen Urlaub ohne Kinder nach Hause kommen. Dabei wurde die Ehe zwar nicht erzwungen, aber arrangiert. Doch die Eltern haben es offenbar verstanden, daraus das Beste zu machen. Dabei hatten sie sich schon mal getrennt.
Minirock und Moschee, das geht nicht, finden islamische Fundamentalisten und ebenso die zahlreichen fundamentalistischen Anti-Islamisten unter den Deutschen. Nein, geht in der Theorie auch nicht. Aber die Autorin zeigt uns, dass so manches, was Theoretiker für unmöglich halten, in der PRaxis dann doch geht. So einheitlich wie viele tun, sind Deutsch-Türken denn doch nicht. Auch wenn eins allen gemeinsam ist: Der Zusammenhalt der Großfamilie und das hat für das Buch einen Vorteil. Melda Akbas hat einen großen Verwandtenkreis mit höchst unterschiedlichen Menschen, die dennoch immer wieder zusammenkommen, sich streiten, sich über einzelne Familienmitglieder das Maul zerreißen und sich dann doch wieder vertragen. Von der aufgeklärten Tante Zeynep, eine temperamentvolle Lehrerin, die aus ihren Überzeugungen keinen Hehl macht bis hin zu sehr traditionellen Familienmitgliedern.
Sie selbst steht im ständigen Aufstand gegen ihre Eltern, die sie dennoch innig liebt. Auch weil sie sieht, was diese für sie getan haben. Aber Freunde muss sie vor den Eltern geheim halten, auch, dass sie nach dem Abitur von zu Hause ausziehen möchte. Mädchen, so die Vorstellung vor allem ihres Vaters, wohnen im Hause der Eltern, bis sie heiraten. Eine Vorstellung, die die Autorin keineswegs teilt. Im Gegensatz zu ihrem Bruder Tayfun, der - wie viele gleichaltrige Urdeutsche - das "Hotel Mama" sehr zu schätzen weiß.
Manches wird dem bekannt vorkommen, der die Fünfziger und Sechziger Jahre erlebt hat. Ich erinnere mich gut an große Familientreffen bei meinen Großeltern, wie sehr Töchter behütet wurden, damit sie nicht als "leichte Mädchen" angesehen wurden, wie viele sagten: Mädchen brauchen keine höhere Schule, sie heiraten ja später.
Und Melda Akbas erzählt davon, wie sie dazwischen steht. Für Deutsche ist sie eine Türkin, für Türken eine Deutsche. In der Türkei war sie nur im Urlaub, das Land ist ihr fremd, auch wenn sie die Sprache spricht. Ihre Heimat ist Berlin.
Sie hat sich früh in der Schule als Klassensprecherin eingesetzt, später im Bezirksschulrat und dann hebt sie zusammen mit einer Freundin eine bundesweite Kampagne für Migrantenkinder aus der Taufe, damit diese sich mehr an ihren Schulen engagieren. Sogar der Spiegel berichtet darüber, aber Akbas muss erkennen: Sie ist Deutschtürkin, aber über die Realität vieler Deutschtürken weiß sie auch nichts. Sie wechselt das Gymnasium, von Charlottenburg auf ein Gymnasium in Neukölln. Neuköln, das ist ein Berliner Stadtteil mit hohem Migrantenanteil, dort leben vor allem traditionelle Türken. Der Wechsel wirkt wie ein Kulturschock. Auf dem alten Gymnasium waren Diskussionen, pro und Kontra gefragt. An dem neuen ist es den Lehrern am liebsten, wenn die Schüler tun, was ihnen vorgegeben wurde und den Schülern und Schülerinnen ist das sehr recht. Warum laufen die mit Scheuklappen durch die Gegend, warum lassen sie sich alles von den Eltern vorschreiben, fragt sie sich. Denn sie will leben, wie sie selbst will, nicht, wie andere es ihr vorschreiben. Kein Wunder, dass Kant bei ihr einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Doch ganz so ist es auch nicht. Denn die Mädchen haben durchaus Freunde, auch wenn die Eltern nichts davon wissen dürfen. Wie auch viele andere Türken, über die sie berichtet, den Koran nicht wortwörtlich befolgen, sondern für sich auslegen, was sie befolgen und was nicht.
Melda Akbas hat ein hochspannendes Buch über deutschtürkischen Alltag vorgelegt und gibt dem Leser einen guten Eindruck über dessen Bandbreite. Weit über das hinaus, das üblicherweise in abstrakten Diskussionen über Koran - Pro und Contra hinausgeht.
Dass sie damit Dogmatikern nicht gefällt, wie Amazon-Rezensionen zeigen, dürfte niemand verwundern.
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