Verratene Freiheit. Sachbuch.
Thomas von der Osten-Sacken et. Al. (Hg), Verbrecher Verlag, März 2010
Wir alle haben sie gesehen, die Bilder aus Teheran, die Millionen, die gegen die Wahlfälschung protestierten und das Bild der ermordeten Neda Agha-Sultan, das zur Ikone wurde, das das Internet um die Welt gehen ließ. Dieses Buch greift diesen Aufstand noch mal auf. In zwei Teilen schildert es die Ereignisse und untersucht die Folgen.
Der erste Teil ist dem Westen gewidmet und wie dieser die Ereignisse wahrnahm. Der zweite Teil erzählt von den Ereignissen im Iran, der Herrschaft Ahmadinedschads, den verschiedenen Fraktionen im Gottesstaat, die sich bekämpfen, verbünden und welche Stellung sie in den Ereignissen einnahmen.
Dazu lässt sich wenig sagen, außer, dass die Artikel informativ sind, die Ereignisse noch einmal in Erinnerung rufen und vieles über die Hintergründe vermitteln. Selbst da, wo in einem Artikel die Psychoanalyse und Freud bemüht wird, um den Iran zu erklären - in meinen Augen schon sehr weit hergeholt - wird genug Information und Argumentation vermittelt um auch diesen Artikel lesenswert zu machen.
Etwas anders sieht es im ersten Teil aus. Der hat den Anspruch, die dicke Freundschaft zwischen Deutschland und Ahmadinedschad zu beweisen und letzteren als großen Wortführer der deutschen Linken zu enttarnen, als den Propheten des Sozialismus des 21. Jahrhunderts.
Doch wo waren sie, die begeisterten Kundgebungen für Ahmadinedschad? Wohl kaum eine Volksbewegung hatte in Deutschland so viele Anhänger, wie die Proteste gegen die Wahlfälschungen im Iran. Wohlgemerkt: Anhänger. Das bedeutet keineswegs, dass diese auch konkrete Maßnahmen gegen das Regime zu treffen bereit waren, ist aber auch kein Beweis tiefer Freundschaft. Weder knüppelten Polizisten Demonstranten nieder, die den iranischen Diktator angriffen, noch arbeitete der Geheimdienst mit den Tugendwächtern, den Pasdaran zusammen. Und auch kein Lex Soraya wurde geplant, um der Presse zu verbieten, einen iranischen Machthaber zu kritisieren. All das passierte 67, als tatsächlich eine enge Freundschaft zwischen dem ebenfalls diktatorischen Schah und der demokratischen Bundesregierung bestand.
So findet sich auch nur ein einziges Zitat in dem ganzen Buch, in dem ein Deutscher für Ahmadinedschad Partei ergreift. Der Blog eines gewissen Jürgen Elsässers, von dem ich – und vermutlich viele andere – vorher noch nie etwas gehört hatte. Etwas wenig für die Behauptung der unverbrüchlichen Freundschaft zwischen deutscher Politik und iranischem Gottestaat.
Die deutsche Politik wie die deutsche Öffentlichkeit hätte erleichtert aufgeseufzt, wäre Ahmadinedschad durch einen „Reformer“ ersetzt worden, gleich welcher Art. Ein Problem weniger, ein Problem, mit dem man sich nicht mehr selbst auseinander setzen muss. Die Bereitschaft, aktiv etwas gegen die iranische Wahlfälschung zu unternehmen, war nämlich ziemlich gering, in diesem einen Punkt hat das Buch recht.
Allerdings entrüsten sich in den Artikel die Schreiber heftigst über die deutsche Untätigkeit, können aber selbst nur zwei Dinge benennen, mit denen man die Demokratiebewegung hätte unterstützen können. Technologieboykott und Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Für beide hätte man diskutieren müssen, wie sie durchgesetzt werden sollen und welche Vorteile sie bringen.
Doch anstelle von Argumenten bringt das Buch nur moralische Empörung. Der erste Teil lebt davon, dass alle Schreiber mit ständig eregierter Moral herumlaufen und sich so um jegliche Argumente drücken. Wenn der Staatssekretär im auswärtigen Amt, Erler, mit seinen Argumenten unrecht hat, wenn der Abbruch diplomatischer Beziehungen wirklich mehr Vor- als Nachteile bringt, sollte man diese benennen, statt sich in moralischer Empörung zu ergehen.
Und Technologieboykott klingt gut, leider zeigt ein Blick in die Geschichte, wie schwierig er durchzusetzen ist. Das Hemd ist allen Staaten näher als die Hose und die USA war schon während des Boykotts des Ostblocks berüchtigt dafür, ihren eigenen Firmen schnell Ausnahmen zuzugestehen. Das gilt für den Boykott des Irans gleichermaßen, weder die Bushregierung noch Obama schienen oder scheinen bereit, in Zweifelsfall gegen die eigenen Konzerne zu agieren und Deutschland reagiert da auch nicht besser. Ein trauriges Bild, aber leider helfen alle hohen Worte und geschwollener Pathos nichts, wenn die Realität anders aussieht.
Die dritte Möglichkeit, die militärische Beseitigung des Regimes, ist auch für die Autoren indiskutabel.
Wenn wir eine verratene Freiheit sehen wollen, müssen wir denn auch nicht in den Iran blicken. Denn dessen Regime gehört nicht zu denen, die in Europas Hauptstädten beliebt ist, eher ist es eine, von der man verzweifelt hofft, dass sie vielleicht doch mal vernünftig reagieren möge, wenn man sie schon nicht beseitigen kann.
Etwas anders sieht es mit Saudi-Arabien aus, das auch, wenn auch leider nur kurz, thematisiert wird. Denn dass Saudi-Arabien ein verlässlicher Freund ist, daran hat noch keine europäische oder amerikanische Regierung gezweifelt. Die Saudis neigen nicht zu außenpolitischen Abenteuern, reagieren auf diplomatische Aktivitäten. Sie sind berechenbar. Über das Problem mit den Menschenrechten sieht man dafür gerne hinweg. Und dass sie mit ihren Ölmilliarden vornehmlich ultrakonservative Koranschulen finanziert haben, in denen der ideologische Unterbau für den heutigen Islamterror gelegt wurde, auch das übersieht man gerne.
Doch hier gerät das Buch ins Schlingern. Geschrieben wurde es von Neokonservativen und folglich kann nicht sein, was nicht sein darf. Nur demokratische Präsidenten sind mit den Saudis verbandelt, lehrt uns die Autorenclique. Ziemlich albern, wenn man bedenkt, dass die Bushs nicht nur sehr reale Interessen am Ölgeschäft haben, aus dem sie profitieren. Sondern dass jeder amerikanische Präsident der letzten sechzig Jahre intimste Freundschaft mit dem Land pflegte, das die Ölversorgung so oft sicherstellte. Folglich agierte Bush nicht anders als Obama, was Saudi-Arabien anging – weswegen die Bushs auch in etlichen linken Verschwörungstheorien die Hauptfiguren bilden.
Eine demokratische Bewegung in Saudiarabien wäre die Horrorvorstellung dieser Politiker und auch die Horrorvorstellung der neokonservativen Autoren. Hat nicht schon 1979 mit dem Sturz des Schahs ein demokratischer Aufstand im Gottesstaat geendet? Besser, wir tun alles, so etwas zu verhindern. Die Bereitschaft demokratische Reformen zuzulassen, wird gering, wenn es um Regimes geht, mit denen man befreundet ist. Auch andere Diktatoren, die sich durch außenpolitische Zuverlässigkeit und Freundschaft verdient machten, wurden durch westliche Regierungen gehätschelt und gepflegt, egal ob es sich um Franco, Pinochet, Salazar oder griechische Obristen handelte. Selbst mit Breschnew hätte man sich angefreundet, hätte er nicht dieses afghanische Abenteuer gestartet.
Die Frage, die im ersten Teil des Buches aufgeworfen wird, ist ja nicht unsinnig, auch wenn sie in einem Übermaß von Moral ertränkt wird. Nur hätte sie der Argumente bedurft, nicht der stolz vor sich hergetragenen Empörung, dem Bewusstsein der eigenen moralischen Überlegenheit. Was darf eine Demokratie bei befreundeten Regierungen dulden? Und wieweit erlaubt es außenpolitisches Kalkül eine innenpolitische Unterdrückung und Außerkraftsetzung der Menschenrechte zu dulden oder gar zu befördern? Schließlich wird der neokonservativen politischen Korrektheit willen im Buch der Schah zum Heiligen und jeder, der gegen ihn auf Demokratie pochte zum Verbrecher und Helfershelfer Khomeinis. Zuviel Demokratie ist wohl auch Neokonservativen nicht geheuer, im Zweifelsfall dann doch lieber ein zuverlässiger Diktator.
Leider bieten Umwälzungen immer gute Gelegenheiten für Scheusale a al Khomeini. Aus der ersten französischen Revolution entstand Robespierre, aus der zweiten Napoleon III. Soll man wegen diesem Risiko immer gleich aufgeben, besser nicht auf Demokratie beharren?
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