Transitgeschichten.
Lilly Brand, DVA 2004
Schlepper, Huren und Behörden"Zu denen, die öfter ins Tutti kamen, gehörte ein türkischer Kommunist, der meistens so wenig Geld hatte, daß es nur für den Eintritt und ein Getränk reichte. Als er trotzdem einmal mit mir - der Russin - aufs Zimmer ging, fragte er mich dort als erstes: Bist du immer noch Kommunistin? Ich zuckte mit den Schultern und bat ihn stattdessen um das vorher vereinbarte Geld. Vergiß den Kapitalismus, der uns bloß den Kopf verdreht, denke lieber sozialistisch-brüderschaftlich, sagte er, wenn du mir jetzt aus meiner männlichen Not hilfst, dann helfe ich dir später auch. Ich erwiderte: Wir sind hier aber in einem kapitalistischen Land. Wer zahlt meine Miete? Schließlich rückte er das Geld raus. Anschließend gestand er mir jedoch, daß er es nicht genießen konnte, mit mir als Sozialistin zu schlafen, weil er dafür bezahlen mußte."
Lilly Brand wächst in Kiew auf, erlebt die Perestroika und das nachfolgende Elend. Als eine der besten Schülerinnen des Gymnasiums ergattert sie einen Studienplatz in Medizin - und erhält 15$ Stipendium im Monat. Um das Geld aufzubessern, leiht sie sich Geld und macht sie mit einem Freund einen Kiosk auf. Der brennt ab und sie hat Schulden. In der Ukraine kann sie die unmöglich zurückzahlen. Sie beschließt, nach Deutschland zu gehen, besorgt sich von einem Schlepper ein Visum und arbeitet in Deutschland als Prostituierte.
Sie beschreibt Szenen aus dem Leben der illegalen Frauen, die die Prostitution als Sprungbrett für eine Karriere im Wirtschaftswunderland sehen. Die Mär von den armen Mädchen, die gegen ihren Willen unter falschen Vorspiegelungen nach Deutschland gelockt und dort zur Prostitution gezwungen werden, kommt in diesem Buch nicht vor. Schließlich gibt es in der Ukraine, Russland und anderen Ostblockländern genug Frauen, die bereit sind, sich zu prostituieren. Wen wunderst, bei einem Löhnen von 30 bis 80 Euro und unzumutbaren Arbeitsbedingungen.
Doch nicht nur die liebgewordene Geschichte amtlicher Betroffenheitssülzer und der Polizei wird hier widerlegt, der Leser erfährt auch sonst etliches Neues. Geschichten aus dem halblegalen Deutschland, Behörden, die Eingaben und Anträge einfach ablehnen, weil sie darauf bauen, dass die Frauen wenig Deutsch können und keine Ahnung der Rechtslage haben, Versicherungen, die sich bei Schadensfälle mit absurden Begründungen vor der Zahlung drücken - "die kennen sich eh nicht aus!" -, Nepper, die ebenfalls von der Unkenntnis der Ausländer leben und last not least: die gekauften Ehemänner.
Um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, brauchen die Frauen einen Ehemann. Der kostet 5000-10.000 Euro und hat sie außerdem in der Hand. Denn wenn die Ehe kürzer als drei Jahre hält, werden die Frauen abgeschoben. So ist Erpressung an der Tagesordnung. Dazu kommen die allgegenwärtigen Drogen, das Leben in der Fremde und die Sehnsucht der Frauen nach menschlicher Wärme, die mancher Mann ausnutzt, um sie um ihr Geld zu bringen. Viel Geld ist es, das mit Prostitution verdient wird, aber genauso schnell, wie es verdient wird, zerrinnt es auch wieder. Der Traum, endlich reich zu sein, nicht mehr der endlose Kampf ums Überleben, dieser Traum zerplatzt für manche, die aus dem Osten kam.
Ihren Witz verliert sie nie, erzählt ihre Erfahrungen mit Lieferfirmen, die ihr hohe Gewinne per Brief ankündigen, sie müsse nur noch eine Kleinigkeit aus dem Katalog bestellen, erzählt aus der Esoterikszene, Wahrsager und Magier die ihr für teures Geld die Zukunft vorhersagen oder sie - für noch mehr Geld - mit allerlei magischen Steinen beglücken wollen.
Lilly Brand erzählt das alles nüchtern, mit einem Blick fürs Absurde, scheinbar ohne jede innere Anteilnahme, mit kargem, einfachen Stil. Das macht das Buch für mich manchmal schwer zu lesen, hat die Autorin wirklich keine Gefühle in diesen Szenen, die sie beschreibt, muss sie sie kaschieren, um dieses Leben auszuhalten oder ist es, trotz aller Härte, verglichen mit dem Leben in der Ukraine immer noch ein Paradies? Sie selbst sagt von sich, dass sie Glück gehabt habe, wie gut es ihr gehe.
Dennoch bietet das Buch Blicke in das Leben aus dem Osten, die ein Deutscher normalerweise so gut wie nie zu Gesicht bekommt. Und allein deshalb ist es schon unbedingt empfehlenswert.
Über die Autorin: Lilli Brand wurde 1974 als Ludmila Nikolajewna Ischtschuk in der ukrainischen Kleinstadt Kasatin geboren. Sie reiste mehrfach mit einem Besuchervisum nach Deutschland, arbeitete hier als Prostituierte und heiratete einen Deutschen. Mittlerweile arbeitet sie als Journalistin in Berlin, u.a. für TAZ, Frankfurter Rundschau und Junge Welt.
Transitgeschichten, Lilly Brand, DVA, 2004
ISBN 3-421-05828-8, gebunden, 157 Seiten, 17,90 €
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