Die Todgeweihte. Historischer Roman.
Titus Müller, Aufbau, Dezember 2005

Bedrückend und fesselnd

"In einem langen Zug gingen die Juden über das Eis zur Insel. Sie trugen die vorgeschriebene Kleidung: Gelbe Hüte die Männer, blauweiße Schleier die Frauen. So mancher von den Zuschauern entdeckte unter ihnen einen Nachbarn und schlug peinlich berührt den Blick nieder. Man hörte, wie der Vorbeter die Juden beruhigte. Sie sprachen gemeinsam: "So sollt ihr die Israeliten segnen; sprecht zu ihnen: Adonai segne dich und behüte dich! Adonai lasse sein Antlitz über dir leuchten und sei dir gnädig. Adonai wende sein Angesicht dir zu und lege über dich Frieden."
Konrad von Bärenfels kniff die Augen zusammen. Er hatte doch genügend Schergen aufgestellt, wozu hatte der Henker sein Beil dabei? Fürchtete er, die Juden könnten versuchen, aus dem brennenden Haus auszubrechen?"

In Europa geht die Pest um. In Marseille gab es angeblich 60.000 Opfer, in Genua und Venedig waren es auch nicht viel weniger. Basel wurde bisher verschont. Darauf baut Ritter Konrad von Bärenfels einen teuflischen Plan auf. Hochverschuldet ist er bei dem Juden Simon Ben Levi. Zurückzahlen kann der Ritter nichts, denn da müsste er auf einige Annehmlichkeiten seines Ritterlebens verzichten. Doch geht jetzt nicht die Mär um, die Juden würden Brunnen vergiften und seien deshalb Schuld an der Pest? Wenn die Juden brennen, dann ist der Ritter seine Schulden los ...

Simon Ben Levi hat eine Tochter, die Federn verkauft. Und diese ist in den Christen Tam verliebt, einen Tagträumer und Bücherwurm. Geküsst haben sie sich noch nie, Händchenhalten war das höchste der Gefühle. Doch Christian, Tams bester Freund, weckt Schmetterlinge in ihrem Bauch. Ein Hallodri und Frauenheld, wie kann sie vor ihm nur so schwach werden? Sie versteht die Welt nicht mehr. Auch Gebete helfen da nicht weiter.

Zwei Handlungsstränge verquickt Titus Müller in seinem neuen Roman. Da ist der Bürgermeister, der Pest und die Gerüchte, die Juden seien daran Schuld, zu seinen Gunsten nutzen will und die junge Jüdin Saphira, die sich nicht zwischen zwei Männern entscheiden kann, den einen liebt, den anderen begehrt sie. Die junge Jüdin, ihre beiden Geliebten, der Ritter und Bürgermeister von Bärenfels, der tapfere Ritter Rammstein, der keinen Kampf fürchtet, aber zu feige ist, zu der Wahrheit zu stehen und deshalb Verderben über sich und andere bringt, all diese Personen sind so lebendig und glaubhaft gezeichnet, dass man meint, plötzlich mitten im Basel des vierzehnten Jahrhunderts zu stehen, all die Details zu sehen, die der Autor so kenntnisreich vor uns ausbreitet. Dazu die vielen unerwarteten Wendungen, die nicht an den Haaren herbeigezogen wurden, sondern glaubhaft in den Personen verankert sind.

Seine Personen leben in einer anderen Zeit, Saphira ist keine starke Frau aus dem Heute in die Vergangenheit gebeamt, aber auch nicht das hilflose Opfer. Sondern eine lebendige Person aus einer anderen Zeit mit gänzlich anderem Glauben und Ansichten als jemand von heute. Dennoch - oder gerade deswegen - ist sie gleichzeitig ein Mensch, dessen Schwierigkeiten wir so gut nachfühlen können, als wären sie unsere eigenen.

Fazit: Lebendige Personen und detailreiche Historie machen das Buch zu einem Lesevergnügen. einem Schmöker, der uns gleichzeitig viel über die Zeit des vierzehnten Jahrhunderts verrät.

Leseprobe
Homepage des Autors

Über den Autor: Titus Müller wurde 1977 in Leipzig geboren, studierte neue deutsche Literatur, mittelalterliche Geschichte und Publizistik. "Der Kalligraph des Bischofs" war 2002 sein erster historischer Roman, bei den "Die sieben Häupter" (www. ein Roman mit sieben Autoren fungierte er als Herausgeber. Für die Siedler von Vulgata erhielt er den C.S. Lewis Preis.

Die Todgeweihte, Titus Müller, historischer Roman, Aufbau, Dezember 2005
ISBN 3746621801, Taschenbuch, 400 Seiten, Euro 8,95

Das Buch bei Amazon

Weitere Rezensionen von Hans Peter Röntgen

zurück

Für alle Rezensionen gilt: © by Hans Peter Röntgen - WebSite - Kontakt
Alle Rechte vorbehalten - All rights reserved