Süden. Krimi.
Friedrich Ani, Droemer, März 2011

Süden

»Ich bin Tabor Süden und kein Japaner«, sagte er unvermittelt, nachdem er zehn Minuten lang von der Tür aus stumm zugehört hatte. Und er unterbrach die Frau am Schreibtisch auch nur, weil sie sich eine Zigarette anzündete und mehrere Züge machte, ohne ihn anzusehen. Der Satz brachte sie zum Lachen. Rauch hüpfte aus ihrem Mund. Süden warf einen Blick zum Fenster, vor dem es dunkel wurde, und als er den Kopf abwandte, hörte Edith Liebergesell auf zu
lachen.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Ich wollte Ihnen keine Kamellen erzählen.«
Süden dachte an den Karneval am Kölner Eigelstein, wo er die vergangenen sieben Jahre verbracht hatte, und sagte: »Ich war lange auf der Vermisstenstelle, ich weiß, wie es Leuten geht, die verschwinden.«
»Ich finde es interessant, dass die Japaner ein eigenes Wort dafür haben.«
»Hikikomori«, sagte Edith Liebergesell. »Menschen hinter Wänden.«

Menschen hinter Wänden heißen in Japan Vermisste, Menschen, die plötzlich verschwunden sind. Einer davon ist Anis Kommissar Süden, der für die Vermissung in München arbeitete, den Job hinschmiss und nach Köln ging.

Bis ihn dort sein Vater anrief. Der ihn verlassen hatte, als er 16 war und sich nun zum ersten Mal wieder meldet. Aus München. Tabor Süden kehrt zurück, nimmt einen Job bei einer Detektei an und muss als ersten Fall den eines verschwundenen Gastwirts verfolgen. Der ist seit zwei Jahren abgängig, es gab Untersuchungen, den Auftrag gab die Ehefrau. Doch Südens Art, wie er dem Vermissten nachspürt, passt der Dame ganz und gar nichts. Zuviel anderes kommt wieder ans Licht, was längst verschwunden und vergessen war. Die Suche nach den Beiden Männern bleibt nicht die einzige, da ist eine Mutter, die vor Ostern ihren zwölfjährigen Sohn verlässt und wir verfolgen das alles in Gesprächen, in Beichten, in Erzählungen, in einem Kaleidoskop Münchener Lebensgeschichten mit all ihren Geheimnissen.

Passieren tut nicht viel und doch lässt dieser Roman den Leser nicht los. Wer hätte gedacht, dass Monologe, Gedanken so spannend sein können? Sie sind es, wenn sie Charaktere so auf den Punkt bringen können, wie das Anis Kommissar Süden kann. Brüche, Entwicklungen, Scheitern und neue Hoffnungen, daraus entwickelt Ani seine Geschichte. Und erinnert damit an Simenon, dem Vater des Kommissars Maigret, der es ebenfalls verstand, so gekonnt ein Leben mit seinen Brüchen zu schildern.

Ein Krimi ohne all das, was sich in den meisten Krimis findet. Action gibt es kaum, Süden war nicht mal bei der Mordkommission, sondern bei der Vermissung und wer glaubt, dass Krimileser sich Monologe und lange Gedanken antun?

Sie tun es, wenn es so gekonnt geschieht wie in Anis Büchern. Und es sind keineswegs nur einige wenige, Anis Bücher verkaufen sich nämlich.

Zu Recht und ein Tipp für jeden, der einmal einen ganz anders gestrickten Krimi lesen will.

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