Die Studenten von Berlin. Roman.
Dieter Meichsner, Schöffling 2003




Eine Liebeserklärung an Dialog und Toleranz

Sechs Studenten erleben die letzten Kriegstage, als Leutnant, als politisch Verfolgter, als Ausgebombte. Den Neuanfang, die Hoffnungen, die ersten freien Diskussionen, den Beginn an der Ostberliner Humboldt Universität. Diskussionen zwischen ganz unterschiedlichen Menschen unterschiedlicher Glaubens- und Lebensauffassungen. Doch langsam gewinnen die Stalinisten die Oberhand, Diskussionen werden abgewürgt, die ersten Verhaftungen.

In West-Berlin gründen Studenten daraufhin die "freie Universität", eine Universität, in dessen Selbstverwaltungsgremien erstmals in Deutschland auch Studenten sitzen, ein Novum. Zunächst wird dieses fragwürdige Pflänzchen misstrauisch beäugt. Doch bald erkennt die Politik, dass sich diese Universität als Waffe im kalten Krieg nutzen lässt. Wieder wird versucht, Diskussionen abzuwürgen, soll politische Korrektheit statt Dialog gepflegt werden. Restauration ist angesagt, alte Nazis kommen wieder in Amt und Würden; schließlich sei der Kommunismus viel schlimmer und gefährlicher als die Nazis es je waren, so klingt die neue Sprachregelung.

Und Studenten, die nicht alles durch eine Brille sehen wollen, sitzen wieder zwischen allen Stühlen. Im Osten sind sie Handlanger der Faschisten, im Westen Kryptokommunisten.

Keine Hoffnung, nirgends? Nicht ganz. Denn das Buch ist auch eine Liebeserklärung an die freie Universität, an gegenseitige Achtung und Toleranz.

1956 schrieb Dieter Meichsner den Roman, der heute ganz anders als die vielen "politsch korrekten" Mitläuferwerke so frisch klingt wie damals, ohne Patina, ohne den Staub von tausend Jahren. Ein wichtiges Zeitzeugnis, eine hervorragende Einführung in die Zeit zwischen den letzten Kriegstagen und dem Beginn des kalten Krieges, das zeigt, wie und warum die kalten Krieger die Macht gewinnen konnten und wie sehr die SED diese Entwicklung befördert hat.

Aber das Buch ist nicht nur Zeitzeugnis, sondern auch ein hervorragender Roman. Kein Pageturner, anfänglich manchmal schwierig, man bracht Zeit, sich einzulesen, aber die ist keinesfalls vergeudet. Meichsner kann diese Jahre mit all ihren Besonderheiten dem Leser vor Augen führen und ebenso seine zahlreichen Figuren, deren Verflechtungen und deren Schicksal. Auf jeden Fall lesenswert.

Der Schöffling Verlag hat diesen Roman wieder zugänglich gemacht, dafür gebührt ihm Dank. Wenigstens ein deutschsprachiger Verlag, der nicht nur 08/15 Einheitsbrei absondert, "weil, das wollen die Leute lesen", sondern sie mit neuen Texten überrascht und vormacht, dass ein Verlag auch damit überleben kann.

Die Studenten von Berlin, Dieter Meichsner
Gebundene Ausgabe - 496 Seiten - Schöffling
Erscheinungsdatum: Januar 2003
ISBN: 3895611468

EUR 26,00

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