Die flüsternde Straße. Jugendroman (ab 12)
Livi Michael, Carlsen, Juli 2005


Straßengang 1830

"Ich musste sie dort herausholen, das war das Wichtigste. Annie, meine ich - meine Schwester. Als ich auf dem Küchenfußboden liegen sah, die Meisterin über ihr und Annie ganz weiß und reglos, durchfuhr mich etwas Kaltes wie ein Schatten.
‚Was haben Sie mit ihr gemacht', sagte ich und der alte Bert versetzte mir eine schallende Ohrfeige."

Joe und seine kleine Schwester sind vom Armenhaus an einen Bauer abgegeben worden. Der nützt sie aus, schlägt sie und gibt ihnen kaum etwas zu essen. Die beiden fliehen und treffen auf der Strasse Travis, den Landstreicher, der die Strassen kennt wie kein zweiter und ihnen sogar einen Weg durch den Wald zeigen kann, wo ihn der Bauer sicher nicht findet.

Im Wald lebt die Hundsfrau, ein Wesen zwischen Engel und Tier, das sich der Kinder mit ihrem Wolfsrudel annimmt. Nur so gelingt es ihnen zu überleben.

Aber das Leben am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ist hart und Joe verlässt seine Schwester Anni, weil er glaubt, sie sei bei einem Wanderzirkus besser aufgehoben. Schließlich hat die das zweite Gesicht, sie kann Tote sehen und sogar mit ihnen sprechen. Joe geht nach Manchester und schließt sich einer Straßengang an.

Armenhaus und Kinderarbeit, da erinnert sich jeder an Oliver Twist. Kann man noch etwas über dieses Thema schreiben, das neues erzählt, das sich nicht sofort an Charles Dickens messen lassen muss? Livi Michael kann.

Sie erzählt über eine Zeit, in der die Industrie entstand und gleichzeitig noch alte Mythen und Aberglaube lebendig war, über Manchester, das immer noch regiert wird, als sei es ein Dorf voller Bauern. Die Angst der Bürger vor den Armen, die die Straßen bevölkern und die Fabriken; Patriarchen, die mit philanthropischen Unternehmen die vergangene Zeit und die Menschen retten wollen; Arbeiter, die aufbegehren und Politik machen und Kinder, die auf der Straße aufwachsen. Manches klingt wie eine Schilderung aus den Metropolen der dritten Welt. Manches ist kaum zu ertragen, etwa, wenn Joe seine Schwester zurücklässt, ja sie sogar verkauft.

Fazit: Mit einer Mischung aus Dickens und Märchen versteht es die Autorin ihre ebenso dunkle wie farbenprächtige Geschichte zu erzählen.

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Über die Autorin: Liv Michael wurde 1960 in Manchester geboren und wuchst in Ashton-under-Lyne auf. 1992 gewann sie mit "Under a Thin Moon" den Arthur Weldon Award. Auch weitere Romane gewannen Preise. 2002 schrieb sie erstmals ein Kinderbuch über einen abenteuerlustigen Hamster, der zu einer Serie wurde. "Die flüsternde Strasse" ist die erste deutsche Übersetzung eines ihrer Bücher und wurde im August 2005 zum Buch des Monats gewählt.
Livi Michael hat zwei Söhne und lebt in Oldham, Lancashire. Sie unterrichtet Englisch und kreatives Schreiben an der Sheffiel Hallam Universität.

Die flüsternde Strasse, Livi Michael, Roman, Carlsen, Juli 2005
Originaltitel: The Whispering Road, aus dem Englischen von Salah Naoura
ISBN 3551553475, gebunden, 500 Seiten, Euro 19,50

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