Die sieben Häupter. Historischer Roman.
Titus Müller (Herausgeber), Aufbau 2004




Mittelalter, Alchemie und Glaube

"Und dann verließ der Drache sein Haus mit dem gewölbten Bambusdach. Er sah aus, wie die Priester ihn immer beschrieben hatten: rot wie loderndes Feuer, mit sieben schuppigen Häuptern und zehn Hörner, welche die Luft zerrissen. Goldene Kronen schwebten in einem zuckendem Schweif über seinen Häuptern, und der Schwanz bewegte sich so schnell, dass er die goldenen und silbernen Sterne hinwegfegte und zur Erde warf. Das Ende der Welt war über sie gekommen und er war der einzige Mann, der in der Lage war, die Bedeutung des Drachens zu begreifen."

Anfang des 13. Jahrhunderts und der Herzog Albrecht von Sachsen fürchtet um seine Pfründe. Um sich bei Kaiser Friedrich einzuschmeicheln, der die Alchemie liebt, schickt er einen Boten nach Cathay (China). Der soll im ein geheimnisvolles Pulver holen, über das bereits Gerüchte im Umlauf sind. Die Chinesen nutzen es für Feuerwerk und allein das erinnert schon an die Weissagung aus der Offenbarung des Johannes. Wenn das jüngste Gericht beginnt, wird ein Drache mit sieben Häuptern am Himmel erscheinen, heißt es dort.

Der Bote kehrt wohlbehalten nach Deutschland zurück mit einem Säckchen voll "Drachensamen", aus denen sich nicht nur feurige Drachen ans Firmament zaubern lassen. Doch kurz bevor er die Burg des Herzogs erreicht, wird er überfallen und verschwindet.

Bernhard von Aken, Herzog Albrechts Mann fürs Grobe, erfährt von der Rückkehr, aber nicht, wo der Bote oder der Drachensamen sich jetzt befinden. Und auch Herzog Albrechts Bruder und größter Feind, Graf Heinrich von Anhalt hat Kunde davon erhalten. Beide senden Spione aus, die das Säckchen in ihren Besitz bringen sollen. Bald erfahren auch andere von dem geheimnisvollen Stoff, der angeblich die Macht hat, das jüngste Gericht zu rufen - oder die Mauern einer Burg zum Einsturz zu bringen.

Zwölf Autoren der Autorengruppe Quo Vadis haben diesen Roman geschrieben, alle zwölf haben schon erfolgreich eigene Romane veröffentlicht. Viele Köche verderben den Brei? In diesem Falle nicht, eher: vierundzwanzig Augen sehen mehr als zwei. Denn herausgekommen ist ein Roman, an dem vor allem der kunstvoll verschlungene Plot begeistert, der immer wieder neue Überraschungen bietet, scheinbar ganz neue Wege einschlägt, um dann doch später die alten Fäden wieder aufzugreifen. Trotz der zahlreichen Fäden wird keiner aus dem Auge verloren und alle zusammen am Ende zu einem farbigen Erzählteppich verwebt.

Jeder Autor hat zwei Kapitel beigesteuert, musste sich auf etwa dreißig Seiten beschränken. Dem Text hat das gut getan. Jeder Autor beginnt an einer neuer Stelle scheinbar einen neuen Erzählstrang, baut seinen eigenen Spannungsbogen auf, bis zum Höhepunkt und dem nachfolgenden Cliffhanger, der den Leser stets aufs Neue rätseln lässt, wie dieser Faden wohl mit den anderen zusammenhängt. Und alle diese zwölf Spannungsbögen tragen ihr Teil zum großen Bogen bei, der die ganze Geschichte hält und trägt und dafür sorgt, dass der Leser das Buch so schnell nicht aus der Hand legt.

Dieser Plot ist ganz sicher eine der beiden Stärken des Romans und wäre wohl kaum ohne die Beteiligung von zwölf unterschiedlichen Autoren derart kunstvoll zustande gekommen. Der zweite ist der sorgfältig angelegte historische Hintergrund, als Leser fühle ich mich nicht in ein "Hollywood"-Mittelalter versetzt, sondern in eine wirklich andere Zeit, die manches Vorurteil über das Mittelalter zu korrigieren vermag. Und die Personen sind nicht einfach moderne Menschen, die ein Autor vor der Kulisse der Vergangenheit aufbaut, sondern Personen, die durchaus anders als heute denken - und doch die gleichen Probleme haben, die Menschen haben, seit es sie gibt.

Da treffen wir machthungrige Mönche, versponnene Künstler, gewiefte Taktiker und obwohl sie nicht unbedingt christliche Taten begehen, ist ihre Weltsicht durch christliche (oder heidnische) Mythen bestimmt. Selbst der Greif, der höchst realistische Abt von Niemburg wird schwach, wenn er eine Reliquie sieht, die angeblich Blinde sehend machen könne. Auch Liebesgeschichten gibt es, aber sie sind nicht von der Herz-Schmerz Variante, sie finden ihren Grund in der Zeit und enden so zwar nicht notwendig tragisch, aber auch nicht als erhofftes Happy-End. Natürlich kann ich nicht beurteilen, ob Menschen im Mittelalter so gedacht, so gefühlt haben, aber zumindest ist es so plausibel, dass ich denke: Ja, so könnte es gewesen sein.

Der Drachensamen, die Entdeckung des Schießpulver so wie in dieser Geschichte, ist zwar erfunden, aber das Pulver war tatsächlich bereits um 1250 bekannt, viel früher, als man gemeinhin annimmt, auch wenn von der Entdeckung bis zur Entwicklung von Kanonen und Gewehren noch lange Zeit vergehen sollte.

Letztendlich war es wirklich dieses Pulver, das zwar nicht das jüngste Gericht brachte, aber doch die Welt des Mittelalters zusammen mit der ebenfalls aus China kommenden Pest auf den Kopf stellen sollte. Aus dem Drachensamen wurden Kriegsfurien, die Europa für zwei Jahrhunderte quälen sollten.

Eine Warnung aber doch: Der Verlag macht natürlich mit den Autorennamen eifrig Werbung. Aber niemand sollte deshalb erwarten, hier einen weiteren Gablé oder Kinkel Roman vorzufinden. Denn die zwölf Autoren haben durchaus eine eigene, gemeinsame Stimme gefunden, der sich deutlich von den Stimmen der einzelnen Autoren unterscheidet - was ja keinesfalls ein Nachteil ist.

Leseprobe
Homepage der Autoren

Über die Autoren: Mani Beckmann, Horst Bosetzky, Guido Dieckmann, Richard Dübell, Rebecca Gable, Helga Glaesener, Tanja Kinkel, Tessa Korber, Malachy Hyde (Ilka Stilz & Karola Hagemann), Titus Müller, Belinda Rodik, und Ruben Wickenhäuser sind alle Mitglieder des bundesweiten Autorenkreises historischer Roman "Quo Vadis". Gegründet wurde er 2002, einmal im Jahr treffen sich die Mitglieder, aber auch dazwischen tauschen sie sich über Email und Diskussionsforum aus.

Die sieben Häupter, Titus Müller (Herausgeber), Aufbau 2004
ISBN 3-7466-2077-5, TB, 399 Seiten, € 10


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