Die verlorenen Schuhe. Historischer Jugendroman.
Gina Mayer, Thienemann Januar 2010
»Die Stimme aus dem Volksempfänger knackte und schnarrte. Hin und wieder störte ein helles Pfeifen den Empfang. Herr Baken und die anderen Männer hockten im Halbkreis vor dem Radioapparat, die Rücken gebeugt, die Köpfe gesenkt. Sie lauschten, als spräche Jesus Christus persönlich zu ihnen.
Es war jedoch nicht Jesus, sondern der Reichsminister Doktor Goebels. Er überbrachte den Männern die neuesten Nachrichten von der Front.
„Mit größter Beharrlichkeit und mit größtem Fanatismus werden wir den Sieg erringen“, schrie Goebbels. „Wir werden siegen! Heil Hitler!“ Damit war die Übertragung beendet.«45, Wanda ist Polin und Zwangsarbeiterin auf dem Gut der Eltern von Inge. Sie hasst diese. Für sie verkörpert Inge die deutschen Besatzer, die sie zwangsverpflichtet haben, weil sie ins Kino ging. Das ist Polen im besetzten Polen verboten, Polen sind für die Nazis Untermenschen, eine Sklavenrasse.
Auch Inge kann mit der verstockten Polin nichts anfangen. Sie weiß nicht mal, dass die Deutsch spricht.
Und dann wird Schlesien geräumt. Die Eltern sind schon geflohen, durch einen unglücklichen Zufall blieb Inge zurück und Wanda. Jetzt sind die beiden aufeinander angewiesen, denn auf der Flucht ist sich jeder selbst der Nächste, Diebstähle häufig und außerdem die Russen dicht hinter ihnen. Und die sind nicht gut auf Deutsche zu sprechen.
Noch ein Roman über den zweiten Weltkrieg, Nazis, Flucht und Vertreibung? Gibt es da nicht schon genug?
Doch Gina Mayer gewinnt dem Thema neue Seiten ab und kann außerdem ein ungewöhnliche, spannende Geschichte erzählen. Weil sie nicht die übliche Liebesgeschichte gewählt hat, nicht die üblichen Helden, die alle nie Nazis waren. Sondern zwei Mädchen, die jede auf ihre Art ihre Schattenseiten haben, die sich anfänglich bekriegen und dann doch zusammenraufen.
Und weil sie mit der Polin eine Protagonistin hat, die die deutsche Besatzung in Polen miterlebt hat und deshalb eine Menge fast unglaublicher Details aus dieser Besatzungszeit erzählt.
Vor allem aber, weil sie spannend und gekonnt erzählen kann. So ist ein Buch entstanden, dass nicht nur neue Aspekte des zweiten Weltkriegs beleuchtet, die vielen unbekannt sein dürften, sondern sich liest wie ein Thriller, den man auch als Erwachsener nicht aus der Hand legen mag.
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