Schmuddelkinder. Krimi.
Matthias P. Gibert, Gmeiner, Juli 2010

Schmuddelkinder

“Hallo, Herr Bauer“, erwiderte der Besucher freundlich. „Ich wollte Ihnen persönlich mein Beileid aussprechen zum Tod Ihrer Frau.“
„Kennen wir uns?“, wollte Bauer irritiert wissen, nachdem er das teilweise vom Schild einer Baseballkappe verdeckte Gesicht des Mannes erneut betrachtet hatte. Ohne zu antworten, drängte der sich an ihm vorbei und stand ein paar Sekundenbruchteilen später im Hausflur.
„Schön hier“, erklärte er selbstbewusst.
„Was fällt Ihnen ein?“, herrschte Bauer den Eindringling an, doch der nahm überhaupt keine Notiz vom Ärger des Witwers und ging langsam weiter ins Wohnzimmer. Der alte Mann folgte ihm.

Zwei Menschen werden auf gleiche brutale Art ermordet, jedesmal mit einem Brief "Kein Raubmord". Beide waren alt, pensioniert. Und beide waren vor vielen Jahren Heimerzieher im Jugendheim Karlshof-Wabern. Bald entdeckt Kommissar Paul Lenz, wie das Leben sich damals, in den Siebziger Jahren, in Erziehungsanstalten für die Zöglinge darstellte.

In den letzten Monaten wurde die Öffentlichkeit mehrfach schockiert mit Berichten über die Zustände in Eliteinternaten in den Siebziger Jahren. Wenn aber selbst in Vorzeigeinstituten derartige Mißstände geherrscht haben, dann lässt sich leicht vorstellen, wie es in "Besserungsanstalten" ausgesehen hat, in denen Erzieher tätig waren, die in Schnellkursen in wenigen Wochen herangezüchtet wurden und einer autoritären Pädagogik verhaftet waren.

Der Autor Matthias Gibert hat damals die Erziehungsanstalt Karlshof selbst erleben müssen, war einer der ganz wenigen, der danach keine Knastkarriere antraten. Auch wenn die Geschichte im Buch erfunden sein dürfte, zeigt sie uns gut die Verhältnisse in diesen "Besserungsanstalten" zur damaligen Zeit. So entstand ein spannender Krimi und ein bedrückendes Zeitportrait.

Dass er das außerdem geschickt mit der Jetztzeit verbindet, in dem der Kommissar Lenz Ärger mit dem Oberbürgermeister "Schoppen-Erich" bekommt, weil dessen Frau zu dem Kommissar zieht, weshalb ein Absolvent des Karlshofs ...

Aber nein, das müssen Sie schon selbst lesen.

Einen Haken hat das Buch aber: Die Spannung, die Nähe zu den Ereignissen und den Figuren, baut sich erst langsam auf. Anfänglich wollte ich es öfters weglegen. Ich habe es nicht getan, Gott sei Dank. Ein wenig langer Atem lohnt sich also in diesem Fall.

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