Schilf. Roman.
Juli Zeh, Schöffling, 2007


"Schon als Kind war er begeistert von der Idee, die Welt könne in Wahrheit ganz anders beschaffen sein, als die menschlichen Sinne sie zeigen. Im Sommer lag der kleine Kommissar im Garten hinter dem Elternhaus auf dem Bauch und diskutierte mit einem Schmetterling darüber, ob der Nussbaum an der Mauer als ein einzelnes Gebilde oder, durch die Facettenaugen des Insekts betrachtet, als ein Konglomerat aus zweitausend ineinander geschobenen Nussbäumen zu begreifen sei. Die Diskussion nahm kein Ende, denn beide, der kleine Kommissar und der Schmetterling, hatten unwiderlegbar recht. Von diesem Schmetterling, von echolot-gesteuerten Fledermäusen und von den Eintagsfliegen hat Schilf gelernt, dass Zeit, Raum und Kausalität im wahrsten Sinne des Wortes Ansichtssache sind."

Oskar und Sebastian studieren Physik. Aber sie haben noch mehr gemeinsam. Schon im Studium sind sie genial und das wissen sie. Auf die anderen Menschen schauen sie voll Verachtung, ihr Leben haben sie der Physik gewidmet. In Freiburg laufen sie immer gemeinsam durch die Strassen.

Oskar ist der Genialste der Beiden, Sebastian entdeckt irgendwann ein anderes Leben neben der Physik, heiratet und bekommt einen Sohn. Für Oskar ist das Verrat, obendrein vertritt Sebastian auch noch die häretische Idee der vielen Welten, statt der einen Weltformel nachzulaufen, an der Oskar bastelt. Dann wird Sebastians Sohn entführt und der Vater erpresst. Auf dem Schauinsland wird ein Radfahrer geköpft und nun schaltet sich die Kripo ein in Form der Kommissarin Rita Skura, die ihre Fälle löst, in dem sie immer das Gegenteil tut von dem, was ihr die Intuition sagt. Ihre Erfolge sind legendär. Aus Stuttgart wird ihr ein Kommissar vorgesetzt, ein Herr Schilf, mit einem Gehirntumor und ebenfalls ganz eigenen Ermittlungsmethoden.

Klingt das interessant? Ja. Das ist es am Anfang auch. Doch leider bleiben die Figuren im Buch stecken, sie entwickeln sich nicht nur nicht, sie verblassen sogar. Irgendwann verwandeln sie sich in Pappkameraden, die nicht leben und sterben können, warum sie etwas tun oder nicht tun, bleibt dem Leser verborgen und interessiert irgendwann dann auch nicht mehr.

Auch die Physik, dieser Glaubenskrieg zwischen dem Deterministen und den Multi-Kulti-Universen kommt kaum zum Zuge. Was da verhandelt wird, ist einfach zu dünn, nützt die Möglichkeiten dieser Theorien nicht aus und bleibt so ebenfalls blass.

Da fehlt genau das, was Juli Zehs Schreiben sonst so gut macht: Die Lebendigkeit. Die hat aus "Adler und Engel" einen Pageturner gemacht, durch diese lesen sich ihre Essays so leicht ohne flach zu sein.

Doch in "Schilf" fehlt genau das. Dass ihre Figuren, dass die verhandelten Theorien leben. Und weil die Figuren nicht leben, passen auch die Metaphern im Text immer weniger, lassen den Leser immer öfter entsetzt aufstöhnen. So wird das Buch, das sich anfänglich leicht liest, immer schwerer genießbar, immer schneller legt man es aus der Hand und ich muss mich outen: Ich habe nach 300 der 383 Seiten entgültig aufgegeben.

Bleibt zu hoffen, dass die Autorin beim nächsten Buch ihre Lebendigkeit wiedergewinnt und ihre Figuren von der Leine lässt.

Leseprobe
Autorenhomepage

Schilf, Juli Zeh, Roman, Schöffling, 2007
ISBN 978-3895614316, gebunden, 383 Seiten, Euro 19,90

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