Rot. Roman.
Uwe Timm, dtv, 2001


Thomas Linde bringt Menschen unter die Erde. Genauer gesagt: Er hält Leichenreden. Früher, in den Siebziger Jahren wollte er die Welt verbessern, war Mitglied der DKP bis zur Ausbürgerung Biermanns. Heute hält er sich aus allem raus. Seine Habseligkeiten hält er klein, Beziehungen hat er keine, bis die zwanzig Jahre jüngere Lichtdesignerin Iris ihn aufreisst und sein sorgsam gehütetes Schneckenhaus in Unordnung bringt.

Unordnung bringt auch ein merkwürdiger Auftrag. Ein Mann hat ihn testamentarisch zu seinem Leichenredner bestellt. Doch den Namen kennt er nicht. Bis sich herausstellt, dass es sich um einen Genossen aus alten Zeiten handelt. Der hat bis heute seinen Kampf für eine bessere Welt und gegen die Reaktion nicht aufgegeben. Thomas entdeckt ein Sprengstoffpaket in seiner Wohnung. Damit wollte er die Berliner Siegessäule in die Luft sprengen.

Und damit sprengt er endgültig Thomas Schneckenhaus. Eine Reise in die Vergangenheit, durch vierzig Jahre deutscher Geschichte nimmt ihren Lauf.

Timm stellt sie uns vor, die Weltverbesserung wie das Glück im trauten Winkel, abgeschirmt von den Stürmen der Zeit. Und sein Beerdigungsredner versteht es, die Quintessenz aus den vergangenen Leben herauszuholen. In kurzen Szenen, wenigen Seiten kann er ganz unterschiedliche Lebensläufe lebendig werden lassen, überhaupt sind diese Szenen die Stärke des Buches. Da wird Geschichte lebendig, da fesselt das Buch.

Die Oma, die nach dem Tode ihres Mannes ihre ganze Wohnung bei Ikea neu einrichtet. Das Büffet mit gesprungener Marmorplatte, das zersprang, weil es als Schutz einer Jüdin im Keller stand. Der Kommunist, der zum Weinhändler wurde. Der Maler, der die Papierkörbe von Schriftstellern ausschlachtet.

Leider neigt der Autor auch zu essayistischen, ausuferndem Philosophieren und das kann er weit weniger gut. "Es sollte ein anderes Leben sein, selbstbestimmt, frei, eigensinnig, erfahrungsreich, nicht nur dem rechnenden, kalkulierenden Verstand unterworfen, der Mut sich zu öffnen, Stolz auf die Schwächen, auch auf das Leiden, das eigene, eine eigene Welt, keine laue, gleichgültige, nicht Leid und Glück nebeneinander dulden." Wer die Zeit erlebt hat, für den können solche Stellen Erinnerungen wecken, für alle anderen dürften sie eher wie Nostalgie eines 68ers erscheinen.

Und Timms Held besitzt ein schwarzes Loch. Das heißt DKP und darüber verbreitet er sich nur allgemein, genau dort fehlen die lebendigen Szenen, die das Buch sonst so lesenswert machen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum der Beerdigungsredner sich in ein biedermeierliches Schneckenhaus zurückgezogen hat, sämtliche Außenkontakte auf ein Minimum beschränkt? Einmischen, auf der Seite des Fortschritts und der DKP, das ist gescheitert, aber beerdigt hat er diese Phase noch nicht, die Leichenrede steht noch aus, nur dann würde das Leben weitergehen. Doch davon ist im Buch leider keine Rede.

So ist ein wichtiger, spannender Roman über die letzten Jahrzehnte entstanden, leider aber auch einer mit viel nebulösem Gerede, das nur verständlich ist, wenn man die geschilderten Zeiten selbst erlebt hat.

Rot, Uwe Timm, Roman, dtv, 2001
ISBN: 3-423-13125-X, TB, 393 Seiten, Euro 10

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