Der schwedische Reiter. Roman.
Leo Perutz, dtv 2003



Kunstvoll gestricktes Historiengemälde

"Ich bin lutherisch oder papistisch, wie es die Welt will", sagte der Dieb, indem er sich über die Wurst hermachte. "Wenn ich Bildstöcke seh' an den Wegen und Heiligenhäuslein, dann sag' ich allen, denen ich begegne, ein Ave Maria gratia plena auf, und wenn ich durch ein lutherisches Land zieh', dann häng' ich das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit an das Vaterunser."
"Das gilt nicht", sagte Tornefeld und streckte die Beine unter dem Tisch aus. "Man kann nicht petrisch und paulisch zugleich sein. Treib's nur so weiter, so wirst du in der Ewigkeit verdorben sein. Ich gehör' der protestierenden Kirche an, ich lache und verspott' den Papst und sein Gebot. Der schwedische Karl, der ist aller Lutheraner Hort."
Zwei Menschen treffen sich im tiefsten Winter in den Kriegsjahren 1701. Ein Dieb, den man im Land den Hahnenschnapper nennt und ein junger Adliger, Christian von Tornefeld. Beide sind mehr tot als lebendig, der Adlige will ins schwedische Heer und für seinen König fechten, der Dieb hat nur noch eine Chance, in das Pochwerk, in das Arbeitslager des Bischofs zu gehen, dort fragt niemand nach seinem Namen und auch nicht, was er bisher getrieben, aber er wird arbeiten müssen, bis er umfällt, für wenig Essen und keinen Lohn.
Denn die Dragoner des Malefizbarons schweifen umher und hängen jeden, der ihnen verdächtig erscheint.
Der Adlige hat sich außerdem der Tochter seines Paten versprochen, die nahebei wohnt. Doch das hat er längst vergessen. Weil er aber abgebrannt ist, die sächsischen Musketiere nach ihm, dem Deserteur, fanden, sendet er den Dieb zu dem Paten, er soll ihm Kleidung und Geld besorgen. Erst weigert sich der Hahnenschnapper, dann überkommt ihn eine "trotzige Begierde, hinauszugehen dorthin, wo der scharfe Wind pfiff und noch einmal, ein letztes Mal, mit dem Tod eine Courante zu tanzen."
Und so trifft er Maria Agneta von Krechwitz, die auf ihren Bräutigam wartet, den sie nicht mehr gesehen hat, seitdem sie beide zehn Jahre alt waren. Diese Frau will er haben, er verrät seinen Kumpanen, liefert ihn an das Pochwerk aus, nimmt es mit dem Malefizbaron und seinen Dragonern auf, gründet eine Räuberbande, die Kirchen ausraubt und heiratet unter dem Namen Christian von Tornefeld genannt "der schwedische Reiter" seine Maria Agneta. Doch das Glück währt nur sieben Jahre, dann holt ihn seine Vergangenheit wieder ein, er muss fliehen und sich dem Heer des schwedischen Königs anschließen.
Leo Perutz hat ein Meisterwerk mit dem schwedischen Reiter geschaffen, er versteht es, den Leser in den Bann zu ziehen, versetzt ihn in die Zeit des beginnenden achtzehnten Jahrhundert, lässt ihn Kälte und den Hunger schmecken. Die Sprache, die eine ganz eigene Melodie und Wortwahl hat, trägt dazu ebenso bei, wie der feingesponnene Plot. Im Vorbericht - heute würde man sagen "Prolog" - werden die Kindheitserinnerungen der Tochter des schwedischen Reiters erzählt und wie ihr Vater noch Wochen, nachdem er in Poltawa längst gefallen war, der Sechsjährigen des Nachts erschien. Und Perutz löst dieses Rätsel am Schluss; wie alle Fäden, die zunächst so zusammenhanglos erscheinen, am Ende doch ihre Bedeutung und ihren Sinn bekommen.
Perutz war nie einer von denen, die dem Geniekult huldigten, obwohl seine Bücher genial aufgebaut sind, sondern verstand sich als fähigen Handwerker und das war er ohne Zweifel. Er gehört zu der großen Gruppe der Schriftsteller, die die Nazis vertrieben haben und die erst spät, in den Achtzigern, Neunzigern wiederentdeckt wurden. Ganze Erzähltraditionen haben die Nazis so für viele Jahrzehnte aus Deutschland verjagen können und dadurch dazu beigetragen, dass es lange hieß, deutsche Autoren könnten nicht spannend schreiben. Perutz ist einer derer, die das Gegenteil beweisen. DTV verdanken wir die Neuherausgabe seiner Romane und wer sich für magischen Realismus begeistert, kann hier entdecken, das nicht nur Südamerikaner dieses Metier beherrschen.

Über den Autor: Leo Perutz war ein deutscher Jude, 1882 geboren in Prag, lebte später in Wien, der schwedische Reiter entstand 1936. 1938 musste er vor Hitler fliehen und emigrierte nach Tel Aviv. 1959 starb er in Bad Ischl.

Leo Perutz, Der schwedische Reiter, Roman, dtv, 2003, ISBN 3-423-13160-8
Taschenbuch, 256 Seiten, 9.50€

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