Das Projektil sind wir. Sachbuch.
Karl Heinz Dellwo, Edition Nautilus, Oktober 2007

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Karl-Heinz Dellwo war Mitglied der RAF. Das Buch ist kein Reuebekenntniss, es ist keine Analyse, es ist ein Einblick in das Denken der RAF. Das macht es so wertvoll, aber auch stellenweise so bedrückend.

Die Einleitung ist kaum lesbar, dort werden verschwurbelte Gedanken zur Politik breitgetreten, im gängigen RaF Ton, für nicht-Insider fast unverständlich, nicht nach zu vollziehen. Doch zum Glück ist der Rest ein Interview und wesentlich einfacher zu lesen.

Dann erzählt Dellwo im ersten Drittel, wie er in den Fünfzigern und Sechziger Jahren aufwuchs. Anders als oft behauptet, war sein Vater kein Nazi gewesen, ganz im Gegenteil. Doch autoritär war auch er, seine Frau hatte zu folgen, die Kinder zu erziehen während er an den Romanen schrieb, die er nie fertigstellte. Das ist ein spannendes Zeitzeugnis, weil es diese Zeit lebendig werden lässt, die Elterngeneration, die autoritär war, die Kinder, die darunter litten, irgendwann ein eigenes Leben leben wollten und sich die Haare wachsen ließen. Was sie prompt in Konflikt brachte, nicht nur mit Polizei und Behörden. sondern mit der älteren Generation.

Doch Dellwo fasst diesen Konflikt nur als Konflikt mit dem Staat auf. Der Staat ist böse, er unterdrückt die Massen, er wird faschistisch, deshalb müssen wir ihn bekämpfen. Mit allen Mitteln.

Eigentlich hätte ihm ein Blick in Marighellas "Stadtguerilla" schnell das Gegenteil lehren müssen. Der schrieb die BIbel der Revolte, die auch die Bíbel Dellwos wurde. Allerdings kam er nicht in einen Knast, wie Baader, Meinhof und eben auch Dellwo, sondern wurde erschossen, wie alle seine Genossen. Ihm wurde kein Prozess, wie unfair auch immer gemacht. Auch Che Guevara wurde standrechtlich und ohne Prozess nach seiner Gefangennahme abgeknallt. Faschistische Systeme fackeln nicht lange mit ihren Gegnern.

Genau das ist das Problem der RAF. Dass sie nicht differenzieren konnte, dass sie unfähig war zu politischen Analyse, dass sie Robin Hood sein wollte und sich einen Mythos darum schuf. Wie das geschah, kann man bei Dellwo nachlesen, der immer noch diesem Mythos verfallen ist, obwohl er sich vom bewaffneten Kampf verabschiedet hat.

So wird zwar erklärt, warum damals die Jugendlichen rebellierten, warum es 68 gab und in der Zeit danach die Strassenkämpfe tobten. Aber nicht, warum man deshalb zur Knarre greifen sollte oder musste. Letzteres wurde von der RAF als selbstverständlich vorausgesetzt, um dann zu militärischen Problemen überzugehen.

Der Titel "Das Projektil sind wir" kennzeichnet sehr gut diese Haltung. Wie in der preußischen Armee war Militär alles, Politik interessierte nicht. Der Feind versteht nur Härte.

Die Sondergesetze, die in der Hochzeit der RAF beschlossen wurde - Einschränkung von Verteidigerrechten, Erweiterung der Polizeirechte - wären ohne die RAF nie durchsetzbar gewesen. So schuf die RAF das, was sie angeblich verhindern wollte.

Dass sie außerdem Menschen mit Lügen (Mord an Baader, Meinhof, Ensslin, etc.) brutal zu manipulieren versuchte, zeigte, dass sie genau zu den Mitteln griff, die sie bekämpfen wollte.

Hier muss man Dellwo zugute halten, dass er als erstes RAF Mitglied das Tabu brach und sagte, dass die Mordthese nicht stimmte.

Diese Lügen aber schlugen auf die RAF selbst zurück. Schließlich glaubte ihnen gar niemand mehr, die Gefägnissverwaltungen erhielten freie Hand und setzten gegen die Häftlinge dann genau die Haftbedingungen durch, über die diese früher geklagt hatten - zu Zeiten, als es ihnen noch relativ gut im Knast ging.

Wie politisches Denken bei der RAF vor allem durch Abwesenheit glänzte, das zeigt Dellwos Überlegungen zu der Geiselnahme in der Botschaft in Stockholm. Eine Regierung, die zwanzig RAF Gefangene hätte laufen lassen, wäre damals umgehend abgewählt worden. Dass die Forderungen niemals erfüllt werden könnten, hätten sich die Täter leicht an den fünf Fingern ausrechnen können.

Schließlich hatte die vorangehende Geiselnahme des Berliner CDU Kandidaten nur geklappt, weil eine SPD Regierung nicht den Gegenkandidaten umkommen lassen konnte, außerdem die Forderungen der Geiselnehmer noch im Rahmen des Machbaren lagen. Doch Machbarkeit war kein Wort, dass in der RAF vorkam. Abgeschottet wie eine Sekte, sich selbst als die Auserwählten begreifend, militärisch denkend waren sie zu politische Überlegungen völlig unfähig.

Dieses Denken zu dokumentieren, ist das Verdienst des Buches. Deshalb ist es so lesenswert. Als Zeitzeugnis.


Das Projektil sind wir, Sachbuch, Karl Heinz Dellwo, Edition Nautilus, Oktober 2007
ISBN-13: 978-3894015565, Tb, 223 Seiten, Euro 14,90

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