Pompeji. Historischer Thriller.
Robert Harris, Heyne, April 2005
Antike Wassermafia
"Ein Hirngespinst", murmelte jemand.
"Knaben sollten bei ihren Büchern bleiben", sagte ein anderer.
Er ließ seine Schritte länger werden.
Lass sie schwatzen, dachte er.
Schon jetzt konnte er spüren, wie sich die Hitze des Morgens aufbaute, Vorbote eines weiteren Tages ohne Regen.Attilius ist Wasserbaumeister, genau wie sein Vater und sein Großvater. Im antiken Rom ist das eine wichtige Aufgabe, die römischen Städte werden durch riesige Äquadukte mit Wasser versorgt, Bauwerke, die viele Kilometer lang sind. Allein Rom wurde mit mehr Wasser versorgt, als New York im Jahr 1985 zur Verfügung stand.
Dann wird er zum Aquarius ernannt, dem Oberaufseher des mächtigen Äquadukts Aqua Augusta. Der versorgt vom Apennin aus den Golf von Neapel mit Wasser. Nicht nur Pompej und Herculaneum sind auf dieses Wasser angewiesen, auch der Hafen der römischen Kriegsflotte Misenum mit über zehntausend Soldaten und noch mehr Zivilisten.
Vor Ort muss Attilius feststellen, dass sein Vorgänger spurlos verschwunden ist, niemand weiß, wohin und warum. Obendrein versiegt eines Tages die Wasserzufuhr und er, frisch aus Rom eingetroffen, muss einen Äquadukt reparieren, von dem er wenig weiß und dessen Arbeiter den neuen Wasserbaumeister verachten. Ein schöner Junge, noch feucht hinter den Ohren, was kann der schon über Wasser wissen?
Dann ist da Ampliatus, ein freigelassener Sklave, der sich mittlerweile zum reichsten Bauunternehmer hochgearbeitet hat. Halb Pompej gehört ihm. Attilius, diesen neuen Wasserbaumeister, den wird er auch in noch in die Tasche stecken, davon ist er überzeugt. Schließlich hat niemand soviel Erfahrung damit, wie man Verwaltungsbeamte für sich einspannt, wie Ampliatus. Und wie alle Neureichen hat er Komplexe, weiß, dass die Aristokraten ihn und sein Geld brauchen, ihn selbst aber verachten.
Obendrein bebt manchmal die Erde, an anderen Stellen heißt es, dass Riesen durch die Luft gehen und auch die Vögel benehmen sich äußerst seltsam. Das sind bedrohliche Vorzeichen, aber was haben sie zu bedeuten? Zürnen die Götter den Menschen?
Pompej, das war der berühmteste Vulkanausbruch der Geschichte, nicht wahr. Gleich zwei römische Städte begruben die Lavamassen unter sich und konservierten das römische Leben in der mondänen Sommerresidenz der antiken Haut Volee.
Das alles ist bekannt, der Leser weiß, wie die Geschichte ausgehen wird. Kann man einen Thriller schreiben, bei dem jeder weiß, wie die letzte Seite aussieht, was das Ende sein wird?
Man kann, wenn man Robert Harris heißt. Der kann noch viel mehr, nämlich seinen Lesern eine Menge über römische Wasserleitungen, die Organisation der städtischen Wasserversorgung und deren Technik erzählen. Wie groß muss das Gefälle in einem Äquadukt sein, damit das Wasser schnell genug fliesst.
Harris verrät es uns und wir als Leser gieren danach, lesen Seite um Seite und können das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Danach haben wir nicht nur einen Roman genossen, wie er spannender nicht sein könnte, sondern auch eine Menge über römischen Alltag erfahren. Kaum einer kann trockenes Wissen so zu Leben erwecken, daraus so faszinierende Bestseller fabrizieren, wie Harris. Das hatte er schon bei Enigma bewiesen, der Geschichte um die Entzifferung der deutschen Chiffriermaschine durch die Engländer während des Ubootkriegs im zweiten Weltkrieg.
Dass Harris dieses Kunststück gelingt, liegt nicht zuletzt daran, dass er faszinierende Figuren zu schaffen weiß. Manche sind seine Erfindung, andere, wie der antike Schriftsteller und Flottenbefehlshaber Plinius sind historisch. Beiden haucht der Autor Leben ein und mit ihnen erleben wir die Geschichte, die Intrigen der Lokalpolitiker, Bestechungen von Bauunternehmer, all das war auch in Rom nicht unbekannt.
Fazit: Ein glänzend geschriebener Thriller, ein spannender historischer Roman und gleichzeitig ein Lehrbuch über römisches Alltagsleben. Besseres kann man über ein Buch wirklich nicht sagen.
Über den Autor: Robert Harris wurde 1957 in Nottingham geboren und promovierte in Cambridge. Er war Reporter bei der BBC, Redakteur beim Observer und Kolumnist bei der Sunday Times und dem Daily Telegraph. 2003 wurde er als bester Kolumnist mit dem British Press Award ausgezeichnet. Er schrieb mehrere Sachbücher und seine Romane Vaterland, Enigma und Aurora wurden allesamt Bestseller. Robert Harris lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Berkshire.
Pompeji, Robert Harris, historischer Thriller, April 2005, Heyne
Aus dem Englischen von Christel Wiemken
ISBN 3-453-47013-3, Taschenbuch, 379 Seiten, Euro 8,95
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