Pauschaltourist. Roman.
Tom Liehr, Aufbau, Oktober 2009


Pauschaltourist

»Ich hüstelte, Sitz wandte sich mir zu. „Allerdings sind die Leute von den Tests im Internet inzwischen auch genervt“, erklärte ich tapfer. „Die Veranstalter schreiben selbst gefälschte Berichte, so dass kaum noch Verlass auf die Bewertungen ist. Gerade im Low-Cost-Bereich klafft eine enorme Lücke zwischen Informationen und Realität. Wir sollten uns wieder mehr um diese Klientel kümmern. Immer nur Berichte über sündhaft teure Reisen und exklusive Ziele kosten uns langfristig Leser.

Während ich über meinen eigenen Mut verblüfft war, schließlich war ich nicht nur derjenige, der die Frau des Chefs beinahe gevögelt hatte, sondern in der Redaktion für die Rätselseite, die Cartoons, das Gewinnspiel und die Leserbriefe zuständig, herrschte Ruhe. Dann nickte Heino Sitz langsam.«

Nikolas arbeitet für ein Reisemagazin, dessen Chef und Besitzer von Teamgeist soviel versteht wie ein Säbelzahntiger. Und das ist nicht die einzige Ähnlichkeit mit dem vorweltlichen Tier. Obendrein hat der Chef eine Frau, die jederzeit als Top 1 Besetzung für Frau Potiphar in der Bibel herhalten könnte.

Dann macht Nikolas einen verhängnisvollen Vorschlag. Und schon darf er sechs Wochen durch die Betonburgen des Grauens reisen. Obendrein mit seiner Kollegin Nina, die sich durch Wurstpellenhosen und einen nervigen Kleinpudel auszeichnet.

Klar, dass die Beiden eine Menge zu berichten haben. Tom Liehr versteht es wieder einmal, die Absurditäten des Alltags aufs Korn zu nehmen, Ob es die Handtuchmafia ist, die morgens um fünf zum Pool trappelt um Liegestühle zu besetzen oder das Essen, das die Köche zusammenstellen müssen, obwohl das Geld, das die Reiseveranstalter den Hotels abgeben, bestenfalls zu Grießbrei reichen könnte, der Autor lässt es uns hautnah miterleben.

Doch wie immer in Liehrs Bücher sind es vor allem die Menschen, die das Buch lebendig werden lassen. Böse, ironisch, mit Blick auf die Schwächen skizziert er sie und doch nimmt er sie ernst. So ernst, dass er den wichtigsten am Schluss sogar eigene Lebensläufe gönnt, in denen der Leser erfährt, was aus all denen wurde, die Nikolas auf seiner Reise getroffen hat. Das Gaunerpärchen, das Mittouristen ausnimmt, das ältere Zwillingspaar mit wogenden Busen, der Ägypter, der Touristinnen in „Orfi-Ehen“ lockt und sie dann verlässt, bis eine Russin ihn deshalb krankenhausreif prügelt, sie alle erhalten mit ihrem weiteren Leben ein kurzes Andenken im Epilot. Allein schon diese Lebensläufe wären den Kauf des Buches wert.

In den Sechzigern hat Manfred Schmidt „mit Frau Meier in der Wüste“ schon einmal die schönsten Wochen des Jahres karikiert, doch danach hat sich leider kaum einer dieses Themas angenommen. Tom Liehr hat daraus einen vergnüglichen Roman geschrieben, der sich trefflich eignet, am Pool gelesen zu werden. Oder auf dem heimatlichen Balkon. Oder ...


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