Der Passfälscher. Biografie.
Cioma Schönhaus, Scherz Verlag 2004
Frechheit siegt"Mensch, spinnst du? Weißt du, was das Hotel Kaiserhof ist? Das ist Hitlers Stammlokal. Hier hat ihm Göring die Nachricht überbracht, er sei Reichskanzler geworden. Hier hat Kaiser Wilhelm seine Herrenabende veranstaltet. [...] Hier wohnte Bismarck, bevor er ins Reichskanzlerpalais umzog. Und hier willst du abends mit mir hingehen?" "Na klar, grade deshalb! Wer fragt schon Göring, Himmler oder einen preußischen Prinzen nach seinem Ausweis. Voraussetzung: Selbstbewusst auftreten, dann kann gar nichts passieren."
1942 und immer mehr jüdische Familien werden nach Majdanek und den anderen Lagern im Osten abtransportiert. Obwohl zahlreiche Gerüchte über die Lager und die SS kursieren, folgen die meisten dem Befehl. Denn untertauchen, ohne Papiere, ohne Lebensmittelkarten, scheint ihnen noch weit gefährlicher. Auch Ciomas Eltern, russische Juden, die nach der Novemberrevolution nach Berlin kamen, werden abtransportiert. Cioma ist zunächst noch unabkömmlich, weil er in einem Wehrmachtsbetrieb arbeitet. Aber lange währt dieser Schutz nicht.
Doch er wagt den Sprung in die Illegalität. Mitglieder der bekennenden Kirche verstecken ihn und entdecken Ciomas Talent, Stempel zu fälschen. Juden in Berlin brauchen Papiere, um nicht aufzufallen. In der Kirche werfen Gläubige ihre Ausweise in den Opferstock. Diese Ausweise fälscht der Grafiker Cioma so perfekt, dass niemand die Fälschung erkennt. Erstaunlich, wie lange das gut geht. Denn die Pfarrer der bekennenden Kirche sind vielleicht gute Menschen, geschickte Untergrundkämpfer sind sie nicht. Ihre Notizbücher enthalten alle Namen und Telefonnummern im Klartext. 1943 fliegt der erste auf und die Gestapo greift sich immer mehr von ihnen, zahlreiche versteckte Juden wandern mit ihnen in den Tod. Doch Cioma kann fliehen. Mit dem Wahlspruch "Frechheit siegt" radelt der junge Mann quer durch Deutschland zur Schweizer Grenze und kann sie sogar überqueren, obwohl sein Fahndungsphoto in allen Kriminalpolizeistellen hängt.
Eigentlich gibt es so viele Berichte über die Nazizeit, kann uns da jemand noch etwas Neues erzählen? Cioma Schönhaus kann. Seine Geschichte über das Überleben klingt wie ein Märchen. Ca. 5.000 Juden tauchten im Krieg in Berlin unter, ca 1.500 sollen den Krieg überlebt haben. Erstaunlich, denn sie brauchten Helfer, die sich selbst in Gefahr begaben. Eine einzige Anzeige eines misstrauischen Nachbarns konnte ihnen KZ oder Tod bringen. Eine anonyme Anzeige bringt auch Ciomas Gruppe das Verderben. Viele aus der bekennenden Kirche überleben den Krieg nicht.
Darunter der Kopf der Gruppe, Dr Kaufmann, das Paradebeispiel eines korrekten preußischen Beamten, Offizier im ersten Weltkrieg, hochdekoriert, bis 1936 eine gradlinige Karriere, dann als Halbjude entlassen. Doch die ordnungsgewohnte Bürgerlichkeit sitzt ihm auch in Berlin 1942 noch tief in den Knochen. Von seinen Mitarbeitern erwartet er militärische Pünktlichkeit und absolute Integrität.
"Im Grunde ist das, was wir hier tun, illegal. Aber unter einem kriminellen Regime ist das, was wir machen, die einzig angemessene Verhaltensform. Nun, sie sind jung, abenteuerlustig und zu allen Dingen im Leben positiv eingestellt. Ich aber, als ehemaliger Oberregierungsrat, muss doch sehr umdenken."
Ein Buch über eine furchtbare Zeit, mit schrecklichen Ereignissen und trotzdem und grade deshalb herzerwärmend. Das soll dem Autor mal jemand nachmachen.
Über den Autor: Cioma Schönhaus wurde 1922 in Berlin geboren. Seine Eltern waren russische Emigranten. 1938-1939 besuchte er private Kunstgewerbeschule von Georg Hausdorf. 1942-1943 entkam er dem Transport nach Majdanek und lebte illegal in Berlin.
Der Passfälscher, Cioma Schönhaus, Scherz Verlag
Bearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Marion Neiss
ISBN 3-502-15688-3, gebunden, 235 Seiten, Euro 17,90
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