Die ganz große Nummer. Roman.
Andrea de Carlo, Piper Verlag 2004


"Ich war dreiundzwanzig, als Enrica Rivatti, eine Tussi mit fahlen Lippen, Augen von undefinierbarer Farbe und ausgebleichtem Strohhaar, eines Abends bei mir anrief und ganz aufgeregt meinte, ich solle mich unbedingt bei ihrem Freund Damiano Diamantini melden, der suche einen Rockexperten für seine Musikbuchreihe. Enrica und ich kannten uns von der Uni, und ich war wohl die einzige Person, die ihr beim Stichwort Rockmusik eingefallen war - vermutlich weil ich mich die ganze Zeit ein wenig abgehoben bewegte und manchmal eine nicht besonders schöne japanische Akustikgitarre mit viel zu hoch gestimmten Saiten bei mir hatte, auf der ich zwischen den Vorlesungen in den Kreuzgängen herumklimperte. Ich wollte eine Art Verbannter in der eigenen Heimat sein, ich mimte den schwierigen Künstler ..."
Damiano Diamantini ist reich und verlegt schöngeistige Bücher mit kleiner Auflage. Er möchte teilhaben an dem Erfolg und Glamour der Rockstars, doch leider hat er keine Ahnung von Rockmusik. Raimondo und Alberto leben in den Tag hinein, studieren ein bisschen, hören Musik und träumen von dem ganz großen Erfolg. Und als Alberto von Diamantinis Plänen hört und den Star Bernard Ohanian in einer Lesung erlebt, kommt ihm DIE Idee. Er wird ein langes, sehr ausführliches Interview mit ihm schreiben, so lang, dass es als Buch herausgebracht werden kann. Und Raimondo wird sich als Musikjournalist dem Verleger vorstellen, als einer, der alle Stars kennt, mit ihnen privat verkehrt, denen sie ihre intimsten Geheimnisse anvertrauen.
Das ganze klappt auch - zunächst. Raimondo spielt die Rolle des Musikjournalisten so gut, dass er schließlich selbst daran glaubt, tritt in Fernseh- und Radioshows auf und Alberto schreibt aus Musikzeitschriften, Büchern und Radiosendungen glaubwürdige Interviews zusammen. Doch dann ...
Wieder taucht de Carlo in die Siebziger Jahre ein, wieder schreibt er über zwei junge Männer, ihre Irrungen und Wirrungen. Diesmal liefert die Musik den Hintergrund. Am Anfang kommt die Geschichte etwas zäh in Gang, gewinnt aber bald an Fahrt und schlägt den Leser in Bann. De Carlo kennt sich mit der Musikszene und ihren Aberwitzigkeiten aus und kann schreiben. Ein kurzweiliges Buch, glaubwürdig geschrieben und mit Personen, die dem Leser trotz des Aberwitzes (oder grade deshalb) bald ans Herz wachsen.
Und dann endet die Geschichte. Jede Geschichte endet irgendwann. Leider begeht de Carlo hier den Fehler immer weiter zu erzählen. Nur haben die späteren Irrfahrten des Ich-Erzählers durch Australien ebenso wenig mit der Geschichte zu tun, wie der erotische Briefwechsel seines Freundes mit einer Mailänder Millionärin. Und ganz am Schluss, als die beiden Freunde mit Fünfzig per Email über ihr Leben philosophieren, wird es für meinen Geschmack einfach nur langweilig. De Carlo ist ein hervorragender Erzähler, als Philosoph aber eine Fehlbesetzung.
Doch das muss ja keiner lesen und die ersten 268 Seiten lohnen allemal den Kauf des Buches.

Leseprobe

Über den Autor: Andrea de Carlo wurde 1952 in Mailand geboren. Nach Aufenthalten in den USA und Australien gelang ihm mit Cream Train gelang ihm 1979 der Durchbruch, mittlerweile wurden seine Romane weltweit über fünf Millionen mal verkauft. Weitere Infos über de Carlo finden sich auf seiner Homepage http://www.andreadecarlo.net.


Die ganz große Nummer, Roman, Andrea de Carlo, Piper Verlag
Originaltitel: I veri Nomi, aus dem Italienischem von Monika Lustig
ISBN 3-492-04575-8, broschiert, 377 Seiten, 19,90 €, März 2004

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