Notizbuch eines Schriftstellers.
W. Somerset Maugham, Diogenes, 2004


Ein Autor und Gentleman

"C. war ein steifer, eifriger Mann, korrekt, ehrbar und langweilig. Seine Frau war leichtfertig und kokett. Er war begabt und hatte eine bedeutende Stellung inne.
In ihrer Nähe lebte eine Frau mit ihrem bulligen, tüchtigen Mann. Sie war spröde und ebenso ehrbar und langweilig wie C. Beide standen in mittlerem Alter. Eines Tages rissen sie miteinander aus, zum Erstaunen aller in der Kolonie. Die verlassenen Ehepartner leiteten Scheidungsprozesse ein und heirateten später erneut. C. wurde aus seinem Amt ohne Gehalt entlassen und lebt mit der Frau zusammen, mit der er davongelaufen ist. Der einzige Wermutstropfen in der Befriedigung von Singapur ist der, dass man über das Paar berichtet, es sei extrem glücklich."

Zeit seines Lebens hat Somerset Maugham ein Journal, eine Art Tagebuch geführt, in das er eintrug, was ihm auffiel. Landschaftsbeschreibungen, Menschen, Bücher und philosophische Erörterungen finden dort Platz.

Vor allem aber waren es Fingerübungen und Notizen. Er beschrieb, was er sah und er beschrieb es immer besser. Wer sein Notizbuch liest, begreift, warum er zu einem der meistgelesenen englischen Autoren wurde.

Dabei hat der Text durchaus Längen. Vor allem am Anfang, in den ersten Jahren, finden sich weniger Beschreibungen, dafür um so mehr Pauschalurteile, philosophische Betrachtungen über die Literatur "der" Franzosen, "der" Russen, etc., Dinge, die heute längst Patina angesetzt haben.

Aber dieses Buch muss man nicht von Anfang bis Ende lesen, das ist der Vorteil. Man kann mit großem Gewinn darin blättern und plötzlich findet man eine Stelle, an der man sich festliest und wacht fünfzig Seiten später wieder auf. Denn Maugham kann seine Leser fesseln. Vor allem, wenn er einzelne Personen beschreibt, denen er auf seinen zahlreichen Reisen begegnete, wenn er Schicksale kurz, aber unglaublich prägnant zusammenfasst, dann läuft er zu Hochform auf. Diese Stellen sind es, die das Buch für jeden, der sich für Literatur interessiert, so wertvoll machen. Und insbesondere für jeden, der selbst schreibt oder schreiben möchte.

Zeit seines Lebens war Maugham ein Autor, der unterhalten wollte. Nicht nur - seine Texte bieten sehr viel mehr als Unterhaltung -, aber er zählte nicht zu den Literaten, die verächtlich auf Unterhaltungsliteratur herabblickten. Im Gegenteil. Er war ein großer Freund von Kriminalromanen und in seinen Journalen findet sich manchmal interessant über das Schreiben: "Man nimmt Stilprobleme viel zu wichtig. Man versucht besser zu schreiben. [...] Man rackert sich verzweifelt ab. Und doch bleibt die Tatsache bestehen, dass die vier größten Schriftsteller, die es je gegeben hat - Balzac, Dickens, Tolstoi und Dostojewski - in ihrer jeweiligen Sprache sehr nachlässig schrieben."

Dennoch sollte man von den Notizen keine Schreibanleitung erwarten. Dazu wurden sie nicht geführt. Maugham hielt hier fest, was ihn faszinierte und manches hat er später in seinen Erzählungen oder Romanen verarbeitet. Über das Handwerk des Schreibens selbst findet sich wenig, um so mehr darüber, wie genau er seine Umgebung beobachtete, wie scharf er hinter die Kulissen der Menschen schaute und vor allem: Wie gut er Ereignisse und Lebensläufe zu kondensieren verstand. In wenigen Sätzen konnte er ein ganzes Leben zusammenfassen, auf das, was (möglicherweise) der Keim einer Geschichte sein konnte.

Überraschend ist, wiewenig Zeitgeschichte sich in den Notizen findet. Der gleiche Autor, der sich so für einzelne Menschen interessierte, schien kaum für den Lauf der Weltgeschichte zu verfolgen. Jedenfalls findet sich in den Notizen so gut wie gar nichts über die beiden Weltkriege, deren Zeitzeuge er war. Dabei war er im ersten sogar als englischer Agent in Russland tätig.

Dem Buch ist ein sehr langer (und meiner Ansicht nach langatmiger) Essay über Maugham mit über 90 Seiten vorangestellt. Ich gestehe, ich habe das nicht zu Ende gelesen, weil ich den Eindruck hatte, dass Maughams Notizen mehr über ihn verraten, als dieser Essay - und sich vor allem weit besser lesen lassen.

Fazit: Sicher kein Buch für jedermann, aber für jeden Literaturbegeisterten und vor allem für jeden, der selbst schreibt oder schreiben möchte.

Homepage des Autors

Über den Autor: Maugham kam 1874 in Paris als Sohn eines englischen Diplomaten zur Welt. Seine Eltern starben beide, als er noch ein Kind war, und er kam zu einem Onkel, der Pfarrer war und ihm mit seiner Frömmelei für immer die Ehrfurcht vor der Religion austrieb. Er studierte Medizin in Heidelberg - vor allem unter dem Druck seines Onkels schrieb aber gleichzeitig. Sein erster Roman "Lisa of Lambeth" wurde 1897 veröffentlicht. 1917 heiratete er seine Geliebte, Maud Gwendolen Barnarda, mit der er eine Tochter hatte. Doch aufgrund homosexuelle Affairen wurde die Ehe 1928 wieder geschieden. Er starb 1965 in seinem Haus in St.-Jean-Cap-Ferrat in Südfrankreich. Sein bekanntestes Buch ist "Des Menschen Hörigkeit".

Notizbuch eines Schriftstellers, W. Somerset Maugham, Diogenes, 2004
Originaltitel: A writer's Notebook, aus dem Englischen von Irene Muehlon und Simone Stölzel
ISBN 3-25706452-7, 599 Seiten, Euro 24,90

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