Der Namensvetter. Roman.
Jhumpa Lahiri, Blessing Verlag 2003


In einem anderen Land

"An einem schwülen Augustabend zwei Wochen vor dem er rechneten Termin steht Ashima Ganguli in der Küche ihrer Wohnung am Central Square und mischt Reiskrispies mit Planter's-Erdnüssen und gehackten roten Zwiebeln in einer Schale. Sie gibt Salz, Zitronensaft und fein geschnittene grüne Chilischoten dazu und bedauert, dass sie kein Senföl hat.
Ihre ganze Schwangerschaft hindurch hat sie diese Mischung gegessen, eine bescheidene Annäherung an das, was man reichlich und zu einem Spottpreis in aus Zeitungspapier gefalteten Tüten in Kalkutta auf der Straße und auf den Bahnhöfen in ganz Indien bekommt. Selbst jetzt, da kaum noch Platz in ihr ist, hat sie Heißhunger darauf."

Ashima hat geheiratet. Einen Bengalen, ebenfalls wie sie, aus Kalkuttas Oberschicht. Natürlich ist es eine arrangierte Hochzeit. Und natürlich wird sie ihrem Mann folgen, auch wenn ihr das schwerfällt. Denn der lebt in den USA, hat einen Job an dem angesehen Massachussetts Institut für Technology (MIT).

Jetzt ist sie schwanger. Und hat ein Problem mit dem Namen. Denn Bengali haben zwei Namen, einen offiziellen, der erst nach langem Überlegen verliehen wird und einen inoffiziellen, eine Art Spitzname, den nur die Angehörigen verwenden.

Das Kind, ein Junge, soll in der bengalischen Tradition aufwachsen, auch wenn es in Amerika geboren wurde. Und so bittet Aschima ihre Großmutter einen Namen auszuwählen und ihr diesen zu schreiben. Doch der Brief geht verloren, die Großmutter stirbt kurz darauf und an dem Jungen bleibt ein Name hängen, den ihm der Vater gegeben hat: Gogol, nachdem großen russischen Schriftsteller.

Gogol wächst in Amerika auf, möchte Amerikaner sein, versteht die Kultur seiner Eltern nicht, weiß nicht, warum sie so anders sind als die Eltern seiner Schulkameraden. Kalkutta ist für ihn ein schwüler, dreckiger Ort, er begleitet seine Eltern ungern dorthin. Seinen Namen hasst er, sobald er kann, lässt er ihn ändern.

Auch die Eltern verlieren nach und nach die Kontakte in die alte Heimat. Zu groß ist die Entfernung, zu selten können sie zurückfliegen, das alles ist in den Siebziger Jahren nicht einfach.

Die Pulitzerpreisträgerin Jahiri hat einen poetischen Roman über eine Einwandererfamilie geschrieben, poetisch, zart, ruhig und doch kann man ihn nicht mehr aus der Hand legen. Meisterhaft schildert sie ihre Personen, deren Konflikte, Wünsche und Hoffnungen, die amerikanische wie die bengalische Welt werden lebendig, die Unterschiede, aber auch das, was verbindet.

Und der Kampf der Menschen um einen Platz, den sie als Heimat empfinden, den sie suchen und oft nicht finden. Dieser Gogol steht wie sein Vater zwischen zwei Kulturen und doch ist ihm der Vater fremder als manch anderer, den er kennt. Er wächst an amerikanischen Schulen auf, sieht mit anderen bengalischen Kindern auf Familienfesten amerikanisches Fernsehen und stolpert durchs Leben, als wäre er wirklich eine Figur von Gogol. Eine, die lebendig geworden ist.

Mit Frauen hat er so seine Probleme, überhaupt tut er sich mit Menschen schwer. Und das ist vielleicht der einzige Kritikpunkt an diesem wunderschönen Buch: Dass die Autorin, die sonst so lebendige Figuren zu zeichnen vermag, bei den Freundinnen Gogols seltsam blasse Gestalten entwirft. Doch ansonsten wird der Leser mit einem Lesevergnügen der ganz seltenen Art belohnt. Ein poetisches Buch, das ein Pageturner ist, ein ruhiger, fast beschaulicher Text, der einem den Atem raubt.

Ein Meisterwerk, ein Muss für jeden, der sich poetische Romane liebt. Ein Muss für jeden Buchliebhaber.

Leseprobe

Über die Autorin: Jhumpa Lahiri wurde 1967 als Tochter bengalischer Eltern in London geboren und wuchs in Rhode Island, USA, auf. Sie studierte Englisch, Creativ Writing und vergleichende Literaturwissenschaften an der Bostoner Universität. Heute lebt sie mit ihrer Familie in New York. Für ihre Erzählsammlung "Melancholie der Ankunft" erhielt sie im Jahr 2000 den Pulitzerpreis für Literatur, sowie den New Yorker Book Award für das beste Debüt. "Der Namensvetter" ist ihr erster Roman.

Der Namensvetter, Jhumpa Lahiri, Roman, Blessing Verlag, September 2003
Originaltitel: The namesake, aus dem amerikanischen Englisch von Barbara Heller
ISBN: 3896671111, gebunden, 349 Seiten, Euro 20

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