Die vierte Moschee. Sachbuch.
Ian Johnson, Klett-Cotta, Januar 2011

Die vierte Moschee

»Im Winter 2003 durchstöberte ich einen Londoner Buchladen für radikalislamische Literatur, einen von der Sorte »Londonistan«. Vollgestapelt mit langatmigen aufrufen zum Sturz der freiheitlichen Gesellschaft, schien dieser Laden die Grenzen der freien Meinungsäußerung testen zu wollen – und gewährte dabei ganz unfreiwillig auch tiefe Einblicke in die Probleme der muslimischen Gemeinden Europas. In diesem Laden war ich Stammkunde.
Auf meinem Streifzug entlang der Regale fiel mir eine sonderbare Weltkarte auf. 1 Die Länder waren farblich gekennzeichnet, je nach prozentualem Anteil der muslimischen Bevölkerung. Dunkelgrüne Länder hatten eine muslimische Mehrheit, Hellgrün, Gelb und Beige symbolisierten eine graduelle Abnahme – typisch für den politischen Islam, der die Welt anhand eines einzigen Kriteriums, nämlich der Religion, in »wir« und »sie« aufteilt. Den Rand der Karte schmückten Bilder berühmter Moscheen. Da war die Große Moschee in Mekka (jährlich Ziel von Millionen Pilgern), der Felsendom in Jerusalem (von dem aus Mohammed zum Himmel aufgestiegen sein soll), die wunderbare Blaue Moschee in Istanbul und – das Islamische Zentrum München.
Das Islamische Zentrum München? Wie seltsam! «

Heute gibt es eine große Anzahl von Moscheen in Deutschland. Doch der Autor beschäftigt sich mit der Planung und dem Bau der ersten Moschee, die in den Fünfziger und Sechzigern Jahren in München geplant und Anfang der Siebziger gebaut wurde. Sie war ein Kind des kalten Krieges. Und Ian Johnson zeigt, wie der radikale Islam der Muslimbrüder gehätschelt und gepflegt wurde, weil er antikommunistisch war. Der Feind unseres Feindes ist unser Freund, sagten sich die Geheimdienste und wollten mit Islamisten den Kommunismus bekämpfen.

Wie so vieles begann alles im zweiten Weltkrieg. Die Nazis stellten Hilfstruppen aus sowjetischen Kriegsgefangenen auf. Viele davon waren Muslime und davon versprach sich das Ostministerium viel. So kam ein gewisser Gerhard von Mende an die Macht und wie viele andere verlor er sie nicht mit dem Ende der Naziherrschaft. Viele der muslimischen Wehrmachtssoldaten waren in Westdeutschland geblieben und bildeten eine Gemeinschaft, die eine Moschee bauen wollte. Doch die Soldaten hatten zwei Nachteile: Sie hatten für die Nazis gekämpft und keine allzu engen Bindungen an den Islam. Ein Bier hin und wieder vertrug sich gut mit ihrem Glauben.

So suchte der CIA und der deutsche Geheimdienst bessere mohammedanische Partner und fand sie. Die Moscheegemeinschaft wurde von Said Ramadan übernommen und gelenkt – dem damaligen Führer der Muslimbrüder.

In der Sowjetunion gab es viele Mohammedaner, in den Fünfzigern gab sich der Staat liberaler und erlaubte Pilgerfahrten nach Mekka. Natürlich nur für die, die dem Regime nicht kritisch gegenüberstanden. Und das waren die, die keinen politischen Islam vertraten, die bereit waren, Religion als Privatsache zu sehen, der Partei nicht in die Quere kamen.

Folglich förderte der Westen vor allem die Mohammedaner, die Vertreter des politischen Islam waren und Gegner der Kommunisten. Bald fanden diese auch Verbindungen zu fundamentalistischen Regierungen im nahen Osten und erhielten von dort Geldspenden. Die mohammedanische Gemeinde hatte damals bei weitem nicht die Mittel, um eine Moschee zu bauen. Saudi Arabien, Lybien, die Golfstaaten wurden Geldgeber und auch diese Staaten zählten nicht zu denen, für die Religion zur Privatsache gehört. Wer zahlt, schafft an. Türkische Gastarbeiter waren im Moscheebauverein nicht erwünscht, ihre Mitgliedschaft im Verein wurde abgelehnt. Als die Moschee eröffnet wurde, durften sie zwar das Gotteshaus benutzen, blieben aber weiterhin vom Moscheeverein ausgeschlossen. Zu liberal und obendrein wollten die arabischen Muslimbrüder mit Türken nichts zu tun haben.

So wundert es nicht, dass aus dieser Moschee später auch zahlreiche Verbindungen zu Terroristen geknüpft wurden. Die Revolution frass ihre Kinder, der radikale Islam, unterstützt, um den Kommunismus zu stürzen, wandte sich gegen den Westen, der ihn hochgepäppelt hatte.

Wer aber glaubt, dass die Moschee nun ins politische Abseits geriet, irrt. Denn auch die Bush-Administration entdeckte bald ihr Herz für fundamentalistische Mohammedaner. Jetzt nicht mehr als Verbündete gegen den Kommunismus, sondern als Schutzschild gegen die Terroristen. Viele Muslimbrüder standen auf dem Sprungbrett zu politischer Macht in ihren Heimatländern und damit schwand ihre Begeisterung für den Terrorismus. Auch die Saudis hatten von denen mittlerweile die Nase voll, schließlich waren sie selbst zu Zielen von Al Kaida und Bin Ladem geworden. Wieder verbündeten sich westliche Geheimdienste mit dem fundamentalistischen Islam. Und das Buch zeigt am Beispiel der Münchener Moschee, wie das funktioniert.

Spenden aus radikalen islamischen Staaten ermöglichen den Bau von Moscheen, Moschevereine werden folglich mit deren Anhängern besetzt und die Vereine bilden kleine, abgeschlossene Zirkel, die den „normalen“ Gläubigern verschlossen bleiben. Kein Wunder, dass radikale Mohammedaner immer wieder fordern, dass nur die Moscheevereine als Gesprächspartner des Staates mit Mohammedanern anerkannt werden sollen.

Ian Johnsons Buch ist eine detaillierte Studie, die anhand der Münchener Moschee nachweist, wie der politische Islam bewusst in die westliche Welt eingeschleust wurde. Manchmal klingt es fast zu detailverliebt, aber der Autor kann auch aus Nebensträngen immer noch interessante Geschichten hervorholen. Er ist Journalist und hat den renommierten Pulitzerpreis gewonnen.

Ihm ist mit dem Buch eine faszinierende, verstörende Studie gelungen, über Geheimdienste, Islamisten und Ölgeld aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Der Leser begreift, wieso eine Richtung des Islams derart die Überhand gewinnen konnte und mit welchen Mitteln das erreicht wurde.

Natürlich kann nicht alles am Beispiel der Münchener Moschee gezeigt werden. Die Ursprünge der Muslimbrüderschaft, die sich nach dem Vorbild des Klerikalfaschismus in Europa organisierte, Mussolini, Franco und die zahlreichen anderen katholischen faschistischen Systeme als Vorbild wählte, all das streift das Buch nur.

Dennoch ist es für jeden lesenswert, der mehr Hintergrund über die ganze Islamdebatte haben möchte. Und schön, dass sich ein deutscher Verlag für das Buch gefunden hat.

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