Die Kunst des Erzählens. Sachbuch.
James Wood, Rowohlt, Juli 2011

Die Kunst des Erzählens

Wie Geschichten funktionieren will James Wood in diesem Buch erklären. Und wie man einen guten Roman von einem schlechten unterscheidet.

So widmet er sich den verschiedenen Elementen der Erzählkunst, der Perspektive, den Figuren, dem Stil, dem Dialog und manchem mehr.

James Wood kann schreiben, stilsicher und gleichzeitig gut verständlich, das zeichnet sein Buch aus. Außerdem nimmt er so manches wahr, was anderen Autoren, die über die Kunst des Erzählens geschrieben haben, entgangen ist. "Es hilft, sehr gute Autoren bei ihren Fehlern zu beobachten" erklärt er und führt das gleich an John Updikes Roman "Terrorist" aus. Der schlüpft in die Haut eines jungen Terroristen, um dann in dessen Gedanken über den Koran zu räsonieren und darüber, dass der Junge wohl nicht mehr wachsen werde.

Ein häufiges Problem, meint Wood, dass Autoren sich in den Kopf einer Figur begeben, diese aber Dinge denken lässt, die die Figur nie denken würde. Oft muss der Autor zu diesem Mittel greifen, weil eine realistische Gedankenwelt nicht nur langweilig, sondern nichtssagend wäre. Wenn dem Autor der Trick gelingt, die Gedankenwelt dem Leser glaubhaft darzustellen, funktioniert das. Aber oft gelingt es eben nicht.

In Schreibratgebern wird dieses Problem so gut wie nie wahrgenommen. Wer in der Perspektive seiner Figur schreibt, darf nur die Gedanken haben, die die Figur auch haben würde. Basta. Doch Wood zeigt an Beispielen, dass die Gedankenwelt der Figuren in der Regel ein genauso künstliches Gebilde ist wie die Dialoge. Wichtig ist, dass sie den Leser überzeugen. Dass der Leser den Eindruck gewinnt: So redet, so denkt die Figur.

Updike ist genau das misslungen. Der Leser merkt den Trick: Der Autor nutzt die angeblichen Gedanken der Figur, um seine eigenen an den Mann zu bringen. Der Autor, der dem Leser etwas erklärt. Etwas, dass seit Flaubert in Romanen eher negativ auffällt, auch das erläutert Wood an vielen Beispielen.

Dass Perspektive nicht immer "klinisch rein" sein muss, sich die verschiedenen Perspektiven oft mischen, dass Figuren nicht immer rund sind und doch überzeugen können, sind weitere Themen; auch hier kann Wood einen neuen Blick auf alte Geschichten werfen.

Doch leider bleibt der Blick auf misslungene Beispiele im weiteren Verlauf des Buches selten. Updike ist ein einsames Beispiel und genau deshalb erfüllt das Buch seinen Anspruch nicht, zu erklären, was einen guten Roman von einem schlechten unterscheidet. Wood stellt die Handwerkskiste des Erzählens vor, aber nur an einigen Stellen zeigt er, wie sich gelungenes Erzählen von dem weniger gelungenen unterscheidet.

Und dann zieht er über den "kommerziellen Realismus" her, am Beispiel Graham Greene und John Le Carre. Da bringt er wieder schlechte Beispiele, Beschreibungen, die in der Tradition moderner Romane seit Flaubert stehen, die nicht richtig schlecht sind, aber auch nicht vom Hocker reißen.

Leider übersieht er genau da etwas. Beide Autoren leben nicht von ihren Beschreibungen, sondern von der Handlung. Handlung gibt es aber in Woods Erzählwerkkasten gar nicht. Perspektive, Figuren, Dialog, Stil, alles handelt er ab. Aber Handlung? Fehlanzeige. Einmal erwähnt er, dass vor dem 19. Jahrhundert Figuren durch Handlung statt durch erlebte Rede geschildert und charakterisiert werden. Doch das war es dann auch.

Merkwürdig für einen Flaubert Fan. Denn gerade der hat in Madame Bovary ja nicht nur das Provinzbürgertum um 1850 glänzend gezeichnet, er hat auch das Kunststück vollbracht, das in eine Handlung einzupacken, die auch heute noch Leser faszinieren kann.

Da schlägt die Verachtung des Literaten für alles, was Spannung, Handlung heißt, durch. Denn Wood ist entschiedener Anhänger der Trennung von E- und U-Literatur. Zwar vermerkt er, dass die Elemente des Erzählens, die er beschreibt, sich auch in der Unterhaltungsliteratur finden, doch das führt er leider nicht weiter aus. Eine ganze Sparte der amerikanischen Literatur fehlt bei ihm völlig. Raymond Chandler, Dashiel Hammet sind nicht mal eine Fußnote wert. In diesem Punkt ist Sybille Knauss mit „ Schule des Erzählens“ Wood weit überlegen.

Fazit: Wood erklärt in der ersten Hälfte seines Buches vieles, das andere übersehen, die über Romane schreiben. Aber er bleibt leider auch Literat, der nicht über seinen Tellerrand hinausschauen kann und so wirkt sein Buch halbfertig. Für normale Leser ist es deshalb wohl nur bedingt geeignet. Schade, denn Wood kann verständlich und stilsicher formulieren.

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