Der König der Komödianten. Historischer Roman.
Charlotte Thomas, Lübbe, März 2010

Der König der Komödianten

»Mucksmäuschenstill lag ich der Länge nach ausgestreckt auf dem Dachbalken und starrte hinunter zu dem Paar auf dem Küchentisch.
Von oben betrachtet kam mir der Akt nicht so aufregend vor, wie ich es gehofft hatte. Vor allem von Paulina konnte ich kaum etwas erkennen, und das Wenige, das sich mir bot, mutete eher komisch als aufregend an. Das mochte daran liegen, dass Paulina hinter Onkel Vittores Rücken ihre Fingernägel begutachtete und dabei einen recht gelangweilten Eindruck machte. Es schien fast so, als wäre sie in diesem Moment lieber woanders.
Ich wiederum gab mich die ganze Zeit der stillen Hoffnung hin, Onkel Vittore würde vielleicht seine Position ändern, damit ich mehr von Paulinas Körper erkennen konnte. Wie Onkel Vittore aussah, ob von vorne oder von hinten, wusste ich nur zu gut«

Marco ist achtzehn, als sein Onkel plötzlich stirbt. Bis er fünfundzwanzig wird, steht er nun in der Obhut eines Klosters. Das ist ziemlich heruntergekommen und nicht gerade das, was ein Jugendlicher mit achtzehn sich erträumt. Nicht mal 1594 im Hinterland Venetiens. Dann taucht ein geheimnisvoller Fremder auf, der mit dem Prior Pläne schmiedet, Marco umzubringen und der sucht das Weite.
Er landet in einem Theater, lernt die Commedia dell Arte kennen, sitzt mit dem schlitzohrigen Intendanten im gleichen Badezuber, wird von dessen scharfzüngiger Enkelin geplagt und schmachtet die wunderschöne Hauptdarstellerin an. Vergeblich natürlich. Dafür muss er den Stückeschreiber ersetzen, der – ebenfalls aus Liebe zur Hauptdarstellerin – dem Alkohol verfallen ist. Doch wie schreibt man ein Theaterstück? Eins, das die Zuschauer fesselt, weinen und lachen lässt und ihnen die Münzen aus dem Beutel zieht? Gar nicht so einfach, stellt er fest, weswegen er sein eigenes Leben als Vorbild nimmt. Dort tauchen nämlich immer neue Verwicklungen auf, Unbekannte, die ihm nach dem Leben trachten, bekannte Gesichter, die er dennoch nicht erkennt, Gönner und ein erster Kuss, der eigentlich nur zur Übung erfolgt.

Charlotte Thomas hat sich ganz in die Commedia dell Arte vertieft, nimmt uns mit, taucht uns tief ein ins Theaterleben 1594. Ganz nebenbei lernen wir, dass auch damals Autoren den gleichen Schwierigkeiten gegenüberstanden, denen sie sich heutzutage stellen müssen.
Ihre Figuren leben, wirken nicht, als seien es moderne Frauen, die auf die Schnelle ins alte Venedig expediert worden sind und sind doch stark - jede auf ihre Art. Was auch für die Männer gilt. Kein künstlicher Stil, der auf alt getrimmt wurde, verwässert das Vergnügen, wir nehmen ihr vielmehr ab, dass ihre Figuren so sprechen würden. Eine Geschichte, die sich an Figuren und Plot der Commedia dell Arte anlehnt, dazu beiträgt, dass der Leser darin versinkt und gar nicht mehr auftauchen möchte. Und ein Lehrstück darüber, wie aktuell diese Art von Geschichte sein kann, ist es außerdem.
Vor wenigen Tagen lachte das Buch mich in der Stadtbücherei an. Und dann konnte es nicht mehr weglegen, musste es ausleihen und mitnehmen – ein Fehler, der meinem Schlaf gar nicht gut tat.

Was für ein tolles Buch, über die Comedia del Arte, über das Schreiben, ach, überhaupt.  

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