Komm. Roman.
Irina Denezkina, S.Fischer 2003




Pubertät in Petersburg

"'Was nimmst du? Kaffee?'
Ljapa stand mitten im Zimmer, mit freiem Oberkörper, verwirrt und verschwitzt. Sein Slip guckte aus der Hose hervor. Ich wollte sagen: "Dich", doch ich befürchtete, dass seine Verwirrtheit davon noch größer werden und er dort, wo er stand, einfach anwachsen würde. Erstarrt zur Salzsäule. Und was hätte ich dann gemacht?"

Was mag es sein, das Pubertätsgeschichten für den Leser so spannend macht? Meist ist es doch eine Zeit voller Unsicherheit, Peinlichkeiten, voll Größenwahn und Niederlagen, voll Liebeskummer und misslungenen Beziehungen.

Das ist in Petersburg nicht anders als in Bonn oder Berlin. Irina Denezkina, mit zweiundzwanzig kaum älter als die Personen ihrer Geschichten, hat mit ihrem Buch einen Erfolg eingefahren, erst in Russland und jetzt in Deutschland.

Von Freundinnen handeln sie, die eine liebt das Geld und jeden, der es besitzt, die andere die Außenseiter und jeden, der anders ist. Richtige Persönlichkeiten sind es noch nicht und wie sollten sie es auch sein mit sechzehn, achtzehn. Hase nicht, den das erste Mädchen verlassen hat, in das er sich verliebt hat, Walerotschka nicht, dessen Vater so einflussreich ist und der dennoch im Ferienlager zusammengeschlagen wird und erst recht nicht die vielen, vielen Figuren in "Song for Lovers". Der Liebe jagen sie nach, doch sie erreichen sie nicht. Dem Sex und wenn sie viel Glück haben, kriegen sie ihn, trostlos, irgendwo auf dem Sofa. Soweit unterscheiden sich die Geschichten nicht von all den anderen Pubertätsgeschichten, von "Werthers Leiden" über Leberts "Crazy" bis hin zu "Vorsaison" von Martin Gülich.

Doch "Komm" hat durchaus eigene Qualitäten, der düstere Hintergrund des zerfallenden Sankt Petersburg, die Hoffnungslosigkeit, die nicht nur die übliche Jugenddepression ist, sondern aus der aktuellen Lage in Russland folgt und die allgegenwärtigen Gewalt. Die Autorin kann zweifelsohne erzählen, auch wenn etliche der Geschichten offenkundig nur aufgenommen wurden, um das Buch zu füllen, sich in nichts von den ersten Ergüssen einer Anfängerin in der ersten Schreibwerkstatt unterscheiden.

Doch die Titelgeschichte "Komm", die Gewalt-Orgie in "Walerotschka", das Sittengemälde in "Song for Lovers" mit einer Personenvielfalt, als hätte es sich Tolstoi ausgedacht, diese Geschichten haben eine eigene, unverwechselbare Sprache und Stimmung. Insofern ist der Erfolg des Buches erklärlich.

Über die Autorin: Irina Denzkina wurde 1981 in Jekaterinenburg geboren, studiert Journalismus in Sankt Petersburg und schreibt für die Studentenzeitschrift "Studio".

Irina Denezkina, Komm.
ins Deutsche übersetzt von Oleg Radetzkaja und Franziska Seppeler
285 Seiten, gebunden
S.Fischer
ISBN 3-10-043100-6
EUR 17,90

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