Kämpfe oder stirb auf Raten. Jugendbuch.
Werner J. Egli, Ueberreuter, Juli 2008


kämpfe


»Es fing an, wie ein Furz im Wind.
Deshalb begreife ich manchmal heute noch nicht, wie etwas das so harmlos anfing, damit enden konnte, dass ich bereit war Olli umzubringen.
Ausgerechnet Olli, harmloser als eine Fliege. Und ausgerechnet ich, ein Junge von sechzehn Jahren, der nicht eingesperrt sein wollte.
Aber genau das war ich, eingesperrt.«

1970 und der sechzehnjährige Patrick reißt aus einem Heim für schwererziehbare Jugendliche aus. Die waren damals noch gesichert wie Gefängnisse und eigentlich sollte eine Flucht nicht möglich sein. Aber ganz so abgesichert war es dann doch nicht.

In Karlsruhe lernt er Voss kennen. Der war mit Che Guevara in Bolivien unterwegs, hat mit dem großen Helden zusammen gekämpft. Patrick ist beeindruckt. „Jetzt geht es auch bald hier los“, verspricht Voss, der schon älter ist und beide tauchen in Hamburg in die linke Szene ein. Dort lernen sie Hannes kennen und später kommt Bosch dazu, ein Lehrer und Intellektueller.

Im Agit883 lesen sie den Aufruf von Gudrun Ensslin, die Rote Armee aufzubauen. Das lockt sie. Endlich mal eine, die nicht nur redet, sondern was tut. Da machen sie mit. Und beschließen, eine Zelle der roten Armee zu gründen. Doch dafür braucht man Geld. Und der Dreierschlag der RAF, drei Banküberfälle an einem Tag, der hat schnell einige Beteiligte in den Knast gebracht.

Doch Patrick kommt aus einer Kleinstadt, aus Langen und kennt Olli. Der ist der Sohn von Bittner, dem Inhaber eines großen Konzerns. Die stellen auch Waffen her. Warum nicht Olli entführen und Geld für die Freigabe erpressen? Bittner ist ein Schwein, die Zünder, die seine Firma herstellt, dienen in Vietnam als Mordinstrumente. Schweine sind keine Menschen, es darf geschossen werden.

Langsam gewinnt der Plan Gestalt. Und die Vier werden zu einer abgeschotteten Gruppe, die ihre eigene Moral generiert. Eigentlich ahnt Patrick, dass da was nicht stimmt. Dass da was schief läuft, furchtbar schief läuft. Aber er gesteht es sich nicht ein. Schließlich will auch er eine gerechtere Welt. Da darf man nicht zaudern, keine bürgerlichen Hemmungen haben. Und als der gefangene Olli in der Kiste weint, da ...

Egli hat einen superspannenden Roman geschrieben. Er schildert, wie sich in der kleinen Gruppe eine ganz eigene Ideologie bildet, wie Voss, der sich in Ches Ruhm sonnt, die drei in Bann schlägt und sich nicht mehr trauen, Einwände zu machen oder gar auf das eigene Gewissen zu hören. Wie Patrick selbst seine Freundin, die er liebt, für die große Sache beiseite schiebt. Das ist die Stärke des Buches. Die Faszination des Kampfes, der Aktion; der Zweck heiligt die Mittel. Und die Figur des Voss, des Älteren, der Verführer durch die Tat, der Mann, der keine Hemmungen hat, der sich um nichts schert, der Rächer der Enterbten. Ein zweiter Baader, gut getroffen vom Autor.

Leider hat das Buch auch ein Problem. Es handelt von Verführung, von erbarmungsloser Moral, die über Leichen geht. Es handelt aber nicht von der RAF und nicht von 1970. Schon die Tatsache, dass alle Zellenmitglieder Männer sind, dass sie auch in Hamburg nur Männer in der Szene treffen (mit einer Ausnahme von einer halben Seite), zeigt das. Auch sonst ist die Zeit in Hamburg, in der linken Szene, in Wohnungen, in denen ein ständiges Kommen und Gehen ist, eine Szene, in der man jederzeit Freunde und Schlafmöglichkeiten findet, ist diese Zeit im Buch nicht lebendig. Das könnte eine Terroristenzelle 1912 sein, ist aber leider keine 1970.

So ist das Fazit gespalten: Ein spannendes Buch, ein Buch, das glaubhaft erzählt, wie sich vier Leute verstricken, das die Gefahr und Faszination falscher Vorbilder schildert. Aber kein Buch, das die Zeit von 1970 lebendig werden lässt.

Autorenhomepage

Kämpfe oder stirb auf Raten, Jugendbuch ab 14, Werner J. Egli,
Ueberreuter, Juli 2008 ISBN-13: 978-3-8000-5422-0,
gebunden, 256 Seiten, Euro 14,95

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