Der Irrgarten. Roman.
Panos Karnezis, dtv,
Mai 2005

Griechische Tragödie

"Während er spürte, wie sich das Morphium in seinen Adern ausbreitete, verdrehte der Brigadier die Augen und lächelte wie ein Kind. Alsbald ließ die Droge sowohl seine Müdigkeit als auch seinen Durst verfliegen. Die Achse knarrte, und eine Blechtasse kullerte über den Boden. Der Wind trug die Stimme des Paters an seine Ohren.
"Die Elenden und Armen suchen Wasser und ist nichts da; ihre Zunge verdorret vor Durst. Aber ich, der Herr, will sie erhören; ich, der Gott Israels, will sie nicht verlassen."
Einen Moment lang vergaß der Brigadier das Grauen."

1919 beginnt das anatolische Abenteuer der griechischen Armee. Nach der Niederlage des osmanischen Reichs im ersten Weltkrieg will man die Gelegenheit nutzen und die türkische Ägäisküste und weite Teile ihres Hinterlandes annektieren. Drei Jahre dauert dieser Krieg, der mit einer verheerenden Niederlage endet. Die Armee flieht geschlagen zur Küste.

Eine Brigade hat sich verirrt, abgeschnitten vom Nachschub und vom Rest des griechischen Heeres marschiert sie durch die anatolische Steppe und versucht einen Fluchtweg zur Küste zu finden, einen, der noch nicht von der türkischen Armee kontrolliert wird. Aber statt die Küste zu erreichen, marschiert man nur im Kreis.

Die Moral der Offiziere wie der Soldaten sinkt auf dem Nullpunkt, der kommandierende General Nestor ist morphiumsüchtig, immer wieder tauchen kommunistische Flugblätter auf und rätselhafte Diebstähle demoralisieren die Brigade zusätzlich. Obendrein belastet ein Massaker, dass General Nestor befahl, zusätzlich die Truppe.

Der Priester der Brigade versucht das Wort Gottes mit seinem Megaphon zu verbreiten, aber auch er scheitert. Für Religion haben die halb verhungerten Soldaten noch weniger Verwendung als für kommunistische Manifeste.

Dann stößt die Truppe durch Zufall auf eine griechische Kleinstadt und das Schicksal scheint sich zu wenden. Doch nicht lange. Denn 1922/23 gibt es kein Happy End, das nackte Leben zu retten, ist schon ein Wunder.

Panos Karnezis will eine Tragödie schildern, aber das gelingt ihm nicht. Sein Roman ist immer dort am besten, wo er die absurden Seiten erzählt: Von der Badewanne, die von den Usa über Mexiko in den afrikanischen Urwald reist, um schließlich bei einer französischen Lebedame in Anatolien zu landen zum Beispiel. Oder von dem Pater, der davon träumt, der "Apostel der Anatolier" zu werden. Oder die neuen Methoden der Kommunisten, über Kontaktanzeigen Anhänger zu gewinnen.

Wo der Roman tragisch werden möchte, verliert er seine Glaubwürdigkeit. Das Massaker, das angeblich dem General die Ruhe raubt, glaube ich ihm als Leser nicht. Nicht, dass es in diesem Krieg nicht Massaker genug gegeben hätte. Aber die wenigsten haben den Tätern die Ruhe geraubt - auch die meisten Nazi-Mörder konnten gut schlafen. Und das Massaker im Roman wird immer mal wieder erwähnt, lebendig wird es nie. Eher scheint es ein Konstrukt des Autors zu sein, der damit Tragik erzeugen will.

Don Camillo und Peppone eignen sich auch in Griechenland nicht als tragische Helden und Panos Karnezis Stärke sind wohl eher solche Geschichten. Was nicht heißt, das das Buch nicht lesbar und teilweise spannend ist. Nur scheitert der Autor dabei, einen Roman, eine Tragödie schreiben zu wollen. Der Roman ist in Wirklichkeit ein Sammlung von Geschichten und die Tragödie wirkt konstruiert.

Nach "Traum aus Stein und Federn" ist "Der Irrgarten" der zweite Text dieses Jahr über das griechisch-türkischen Desaster. Mit dem ersten Weltkrieg begann es, gipfelte in den Massenmorden an den Armeniern und führte zu den ersten ethnischen Säuberungen des zwanzigsten Jahrhunderts. "Traum aus Stein und Federn" ist das bessere Buch, aber auch das einseitigere, das alle Schuld an der Katastrophe am liebsten den Armeniern und den griechischen Nationalisten in die Schuhe schiebt. Diesen Fehler begeht Panos Karnezis nicht. Aber er kann diese Tragödie noch weniger fassen, geschweige den gestalten. Beiden Büchern muss man zu gute halten, dass sie diese vergessenen Ereignisse in Erinnerung rufen. Denn was 1915-1923 geschah, war der Vorbote des Holocausts und der Massenmorde der neunziger Jahre.

Doch auf eine angemessene Darstellung der griechisch-türkischen Katastrophe muss man weiter warten. Und warum die anatolische Steppe als "Wüste" bezeichnet wird, bleibt wohl das Geheimnis des Autors bzw. Übersetzers.

Über den Autor: Panos Karnezis, Jahrgang 67, stammt aus Griechenland, studierte Ingenieurswissenschaften in England, arbeitete in der Industrie und veröffentlichte 2002 mit den Erzählungen "Little Infamies" (kleine Gemeinheiten) sein erstes Buch. "Der Irrgarten" ist sein erster Roman. Er hat einen MA Abschluß in Creative Writing und lebt heute in London.

Der Irrgarten, Panos Karnezis, Roman, dtv, Mai 2005
Originaltitel: The Maze, aus dem Englischen übersetzt von Sky Nonhoff
ISBN 3-423-24452-6, Klappenbroschur, 360 Seiten, Euro 14,40

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