Ich und die anderen. Roman.
Matt Ruff, Hanser Verlag 2004
"Nein, ich bin eine multiple Persönlichkeit."
"Eine multiple Persönlichkeit. Sie haben weitere Persönlichkeiten, die an Ihrem Körper teilhaben."
"Weitere Seelen."
[...]
Jetzt bekam Julie einen Schrecken. Wer noch nie Zeuge eines Persönlichkeitswechsels war, erwartet oft eindrucksvolle körperliche Veränderungen, wie wenn einem Werwolf im Lichte des Vollmondes ein Pelz und Reißzähne sprießen. In Wirklichkeit aber geht es viel weniger spektakulär zu - der Körper verändert sich nicht, nur der die Körpersprache, aber das kann auf den Betrachter eine weit beunruhigendere Wirkung haben. Ich bin ein eher schüchterner Typ, und auch wenn ich mich bemühe - da es sich nun mal so gehört -, im Gespräch meinem Gegenüber in die Augen zu sehen, habe ich einen (wie es Tante Sam nennt) "höflich unaufdringlichen Blick". Adam ist natürlich das genaue Gegenteil von unaufdringlich. Kaum hatte er den Körper von mir übernommen, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als Julie mit seinem proletenhaftesten pubertären Grinsen zu bedenken. "Andy Gage ist viele. Da ist Adam, der pubertierende Junge, Jake, der fünfjährige, Tante Sam, die Künstlerin, Gideon, der Verbannte und zahlreiche andere. Denn Andy hat eine multiple Persönlichkeit. Früher führte das zu Chaos, da keine der Personen voneinander wussten, aber jetzt haben sie sich mit Hilfe einer Therapeutin arrangiert. Sie wohnen in einem Haus, das sich in Andys Kopf befindet, sie können über eine Kanzel jederzeit beobachten, was draußen vorgeht, aber nur Andrew darf den Körper steuern.
Eines Tages begegnet Andrew Julie, die ein Unternehmen für Virtual Reality gegründet hat und diese stellt Andrew ein. Kurz darauf auch Penny, eine weitere Frau mit multipler Persönlichkeit, doch diese weiß noch nichts von ihrer Krankheit. Erst will Andrew nichts mit Penny zu tun haben, dann will er ihr helfen und das geht nicht gut. Zu viel aus der eigenen Vergangenheit wird hochgespült, der Mißbrauch durch den Stiefvater, der Tod des eigenen Vaters und die Mutter, die ...Aber das verrate ich besser nicht. Denn wenn "Ich und die anderen" auch ein psychologischer Roman ist, liest er sich auch wie ein Thriller und wir verfolgen atemlos Andrew und Penny auf ihrer Reise durch den eigenen Kopf und erleben ihre Versuche, dort Ordnung aus dem Chaos zu schaffen.
Matt Ruff hatte mit "Fool on the hill" bereits ein Fantasy-Kultbuch geschrieben, mit "Gas - die Triologie der Stadtwerke" eine SF-Satire und geht mit seinem dritten Buch wieder auf ein ganz neues Terrain. Auch das gelingt ihm genial und fesselt den Leser von Anfang an, nimmt ihn mit auf eine Reise in die dunklen Seiten der Seele. Einfach lesenswert.
Homepage von Matt Ruff
LeseprobeMatt Ruff, Ich und die anderen, Hanser Verlag, August 2004
Aus dem Amerikanischen von Giovanni und Ditte Bandini
ISBN 3-446-20535-7, gebunden, 624 Seiten, EUR 24,90Das Buch bei Amazon
Weitere Rezensionen von Hans Peter Röntgen