Der blaue Himmel. Roman.
Galsang Tschinag, Suhrkamp, August 1997


Traum eines mongolischen Jungen

"Mir träumte, mein Asylang ist an Dekpirek erkrankt. Er kann nicht laufen, nicht stehen, taumelt, fällt um. Aus seinem Mund quillt Schaum hervor. Seine Glieder sind steif, seine Haare stehen zu Berge, er stirbt. Tüi, tüi, tüi!"

Ein tuwinischer Junge aus der Mongolei erzählt. Eines Tages kommt eine alte Frau vorbeigeritten und zwischen dem Kind und ihr entwickelt sich eine enge Beziehung. "Meine Großmutter" nennt der Bub bald die alte Frau. Noch sind die alten Strukturen der Nomaden intakt, noch verläuft das Leben in den gewohnten Bahnen, die sich seit Jahrhunderten nicht verändert haben. Doch es ist die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg und bald tauchen die ersten Anzeichen der Moderne auf. Ein Schietscheng, ein Auto beobachten die Kinder. Ein Lehrer kommt und holt die älteren in die Schule. Dort feiert man nicht das mongolische Neujahrsfest Schagaa, sondern Väterchen Frost, denn die Mongolei ist eines der "Bruderländer" der Sowjetunion.

Aber in den Jurten dreht sich immer noch alles um das Vieh und das Wetter. Der Junge hütet mit seinem Hund jeden Tag die kleine Herde der letztgeborenen Schafe. Poetisch und doch sehr realistisch schildert der Autor diese Welt, die Träume des Jungen, der einmal ein großer Viehzüchter mit tausend Tieren werden möchte, aber im Moment nur eine kleine Herde beaufsichtigt. Die ersten Bonbons, die die Geschwister aus der Schule mitbringen, der Adler, der vertrieben werden muss, die Kälte, die unerwartet im Frühjahr einbricht und jeden Tag mehr Opfer unter den Schafen fordert. Und die Familie, Tanten und Onkel und natürlich "seine" Großmutter, auf die der Bub so stolz ist.

Ein langsames Buch, das uns eine fremde Welt näher bringt, erzählt von einem Jungen, der seine Träume, Hoffnungen und Beobachtungen schildert. Und am Schluss taucht der Traum und der Hund wieder auf, um ...

Das Buch kann man gleich noch einmal lesen, ist man am Ende angekommen. Denn was uns der Autor erzählt, ist so dicht, dass man alles gar nicht beim ersten Mal wahrnehmen kann.

Fazit: Wer sich für andere Kulturen und Welten interessiert, erhält hier die Gelegenheit in die fremde Welt der Nomaden in der Mongolei einzutauchen und gleichzeitig eine poetische Geschichte zu erleben.

Über den Autor: Galsang Tschinang wurde 1944 in der Mongolei geboren, wuchs unter den tuwinischen Nomaden auf, studierte 1962-68 Germanistik in Leipzig und lebt heute als Oberhaupt und Schamane der turksprachigen Tuwa in der Mongolei.
1992 erhielt er den Adalbert von Chamisso Preis.

Der blaue Himmel, Galsang Tschinag, Roman, Suhrkamp, August 1997
ISBN 3-518-39220-4, Taschenbuch, 178 Seiten, Euro 8,00

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