"Der Held von Deutsch-Ostafrika": Paul von Lettow-Vorbeck: Ein preußischer Kolonialoffizier. Sachbuch.
Eckhard Michels, Schöningh, September 2008

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Erst zwei Wochen nach Ende des ersten Weltkriegs, nach erbitterten vierjährigen Kriegshandlungen kapitulierte Deutsch-Ostafrika unter Paul von Lettow-Vorbeck. Er konnte sich mit seinen Askaris gegen eine vielfache Übermacht so lange halten.

Kein Wunder, dass er neben Hindenburg der populärste General aus dem Ersten Weltkrieg wurde. Er stand für die deutsche Kolonialmacht, für treue Eingeborene, für ritterliche Kriegsführung. Im Gegensatz zu den meisten anderen preußischen Offiziere war er auch beim Gegner hoch angesehen. Gefangene britische Offiziere wünschten ihm vorgestellt zu werden, er wurde nach England zu Veteranen-Treffen eingeladen, noch lange nach seinem Tod 1964 hatte er einen legendären Ruf.

Das Buch zeigt die Kehrseite. Der Krieg in Afrika forderte weit über 1 Million Opfer. Ganz so freiwillig wie er es schilderte, war die Gefolgschaft der Eingeborenen nicht. Da es in Ost-Afrika damals kaum brauchbare Straßen gab, musste der gesamte Nachschub von Trägern erledigt werden. Hunderttausende Afrikaner wurden zu diesem Trägerdiensten eingezogen. Längst nicht alle gingen freiwillig. Die Deutsche Schutztruppe führte viele in Ketten mit; später, als die Ketten aus gingen, wurden die Opfer mit Telefondrähten gefesselt. Viele starben. Da dadurch ganze Landschaften von den Männern entvölkert wurden, kam es zu Hungersnöten. Die Taktik der Deutschen, sämtliche verfügbaren Lebensmittel zu beschlagnahmen, verschärfte das Problem. Im letzten Kriegsjahr war die deutsche Truppe zu einer Räuberbande heruntergekommen, die kreuz und quer durch ganz Ostafrika marschierte, sämtliche Lebensmittel beschlagnahmte. In Mozambique wurden Frauen vergewaltigt und von den Soldaten gewaltsam mitgeführt – um sie später an der Grenze weitab von ihren Stammesgebieten auszusetzen.

Die genauen Opferzahlen lassen sich nicht mehr feststellen. Weit über 1 Million waren es auf jeden Fall.

Doch nicht nur die Kehrseite des " richterlichen" Krieges - "Kollateralschäden " würde man heute sagen - schildert das Buch. Der Autor zeichnet anhand von Lettow-Vorbeck auch die preußische Militärmaschine nach, den Adel, der nur in der Offizierslaufbahn eine ehrenvolle Tätigkeit sah, das Kaiserreich, das Kolonien hatte, diese mit preußischen Vorurteil regierte, die Weimarer Republik, in der Lettow-Vorbeck zum Symbol der Deutschnationalen wurde – „Im Feld unbesiegt!“ und das Dritte Reich, dem sein Krieg ebenfalls als Propagandamittel diente.

Selbst in der Bundesrepublik galt er lange Jahre als vorbildlich. Dass die einheimischen Askaris ihm folgten, sah man als Beweis für die Wohltaten der deutschen Kolonie. Dass diese Treue eher einem Mann geschuldet war, nämlich Lettow-Vorbeck, wollte niemand wahrhaben. Dass sie so unbedingt nicht war – es gab vor allem im letzten Kriegsjahr zahlreiche Desertationen, die Lettow-Vorbeck mit brutaler Härte und Todesstrafe ahndete – auch das wurde verdrängt. Ein wenig das an Friedrich den Großen und seinen siebenjährigen Krieg, dessen Schlachten bejubelt, dessen Opfer und Zerstörungen aber gerne vergessen wurden.

Anfänglich liest das Buch sich schwierig. Doch bald vergeht das, der Autor kann nicht nur Lettow-Vorbecks Karriere eindrücklich schildern, sondern stellt damit auch das Kaiserreich und sein Militär lebendig daher. Keine angenehme Lektüre. Aber eine wichtige, zeigt sie doch, wie diese Gesellschaft funktionierte. Der Autor zeigt auch, wie der Mythos um Lettow-Vorbeck entstand, wie er benutzt wurde, und wie lange er Bestand hatte.

Das ist vielleicht auch das einzige, was man an dem Buch kritisieren kann. Denn Eckard Michels entzaubert diesen Mythos, zeigt uns hinter dem „ritterlichen Kampf“ das Leiden der Zivilbevölkerung. Dadurch verliert er etwas das Besondere an Lettow-Vorbeck aus dem Auge. Denn anderes etwa als von Trotha im Herero-Aufstand war Lettow-Vorbeck durchaus im Stande, zumindest die militärischen Vorurteile seines Standes zu überwinden. Obwohl er erst 1914 nach Ostafrika kam, passte er sich erstaunlich schnell der besonderen Situation an, verharrte nicht in den festgefügten Kategorien seiner Kollegen. Er erkannte schnell, dass die Einheimischen zumindest als Soldaten nicht "minderwertige " waren. Die Engländer, die anfänglich glaubten, ihn mit weißen oder indischen Soldaten leicht besiegen zu können – schließlich hatte Lettow-Vorbeck schwarze Soldaten und die waren natürlich minderwertig in den Augen der Kolonialmächte -, mussten schließlich lernen, dass diese Überheblichkeit durch nichts gerechtfertigt war. Auch scheint der General anders, als der Autor manchmal zu glauben scheint, nicht in der unbedingten Angriffsmentalität der preußischen Militärideologie befangen gewesen zu sein. Doch ganz konnte sich auch Lettow-Vorbeck nicht von seinen Vorurteilen lösen. Gleichwertig waren Schwarze auch für ihn nur unter Anleitung der weißen Herren. Im Politischen beharrte der General bis ans Lebensende in dem antidemokratischen Vorurteilen seines Standes.

Aber abgesehen von diesem Detail hat Eckard Michels ein lesenswertes Buch geschrieben, mit einer Fülle von Detailinformationen, ohne dass sich der Text je langweilig oder pedantisch liest. Für alle, die sich für Militär im Kaiserreich und deutsche Kolonialgeschichte interessieren, ein Muss.


"Der Held von Deutsch-Ostafrika": Paul von Lettow-Vorbeck, Sachbuch,
Eckhard Michels, Schöningh, September 2008 ISBN-13: 978-3-506-76370-9,
gebunden, 435 Seiten, Euro 39,90

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