Harun und das Meer der Geschichten. Roman.
Salman Rushdie, rororo, Juni 2005
Der Schah von Bla
"Dieser Mann war ein Magier, soviel stand fest. In engen Sackgassen, in denen zerlumpte Kinder und zahnlose Greise dicht gedrängt auf dem staubigen Boden kauerten, stieg er auf eine kleine, improvisierte Bühne; und wenn er mit dem Erzählen begann, blieben sogar die vielen umherstreunenden Kühe der Stadt stehen und spitzten die Ohren, während die Affen auf den Hausdächern anerkennend schnatterten und die Papageien in den Bäumen seine Stimme nachahmten."
Harun lebt im Lande Alifbay in einer traurigen Stadt, in deren Fabriken die Traurigkeit produziert, abgepackt und in alle Welt versandt wird. Doch sein Vater ist nicht traurig, er ist ein Genie der Phantasie, der berühmte Schah von Bla und wenn er zu erzählen beginnt, kann er auch die traurigsten Menschen wenigstens kurze Zeit ihre Traurigkeit vergessen lassen.
Aber er vergisst über das Erzählen Soraya, Haruns Mutter und eines Tages läuft diese einfach mit einem anderen Mann fort. Von Stund an versiegt dem Schah von Blah das Erzählwasser und er kann keine Geschichten mehr erfinden.
Und eines Tages hört Harun nachts im Bad seltsame Geräusche und überrascht den Wasser-Dschinn Wenn mit dem blauen Bart. Der ist grade dabei, den unsichtbaren Erzählwasserhahn abzubauen, der den Schah von Bla mit Geschichten versorgte. Harun zwingt ihn, ihm alles über das Erzählwasser zu berichten. Es kommt aus dem großen Meer der Geschichten und zusammen mit Wenn, dem Wasserdschinn fliegt Harun dorthin, um den Oberkontrolleur zu bewegen, seinen Vater weiter mit Erzählwasser zu versorgen.
Doch das ist gar nicht so einfach und Harun muss viele Abenteuer bestehen. Gott sei Dank findet er Freunde, zum Beispiel den Busfahrer Aber, der auch als Wiedehopf Reisende zum Meer der Geschichten fliegt.
Salman Rushdie breitet einen phantasievollen Erzählteppich vor dem Leser aus, der Kinder wie Erwachsene gleichermaßen zu faszinieren vermag. Soviel sprudelndes Erzählwasser findet sich in wenigen Büchern und jeder der Märchen und phantastische Geschichten liebt, wird seine helle Freude daran haben. Als ob der Erfinder von tausend und einer Nacht sich mit Homer und den Gebrüder Grimm zusammengetan hätte.
Obendrein ist dieses abgedrehte Buch durchaus lehrreich, was die Gefahren des Erzählens und Lebens angeht, zum Kringeln witzig, aber auch zum Weinen traurig. Salman Rushdie hat damit ein Meisterwerk geschaffen.
Fazit: Für jeden Märchenfan zwischen 8 und 80 ein unbedingtes Muss
Über den Autor: Salman Rushdie wurde 1947 in Mumbay (Bombay) geboren und studierte in Cambridge. Für seinen Roman "Mitternachtskinder" gewann er den Booker Prize. Berühmt wurde er allerdings deshalb, weil der iranische Ayatollah Komeini ihn in einer Fatwa zum Tode verurteilte und fünf Millionen Dollar auf seinen Kopf aussetzte. Er habe Mohammed mit seinem Buch "Satanische Verse" beleidigt. Allerdings dürfte der wahre Grund wohl eher darin gelegen haben, dass in dem Buch nicht nur Mohammed auftauchte, sondern auch Ayatollah Khomeini selbst. Zehn Jahre lang musste sich Rushdie verstecken, mehrere Lektoren und Übersetzer der satanischen Verse wurden ermordet.
Heute wohnt Rushdie mit seiner Frau in New York.Harun und das Meer der Geschichten, Salman Rushdie, Roman, rororo Juni 2005
Originaltitel: "Haroun and the Sea of Stories", aus dem Englischen von Gisela Stege
ISBN 3-499-23936, Taschenbuch, 256 Seiten, Euro 8,90
Das Buch bei Amazon
Weitere Rezensionen von Hans Peter Röntgen