Gebrannte Kinder. Kindheit in Deutschland 1939-45. Historische Berichte
Jürgen Kleindienst (Hrsg.), Zeitgut, 2005
"Der heilige Abend kam zunächst wie immer. Draußen hatte es am Tage vorher geschneit und nun herrschte starker Frost bei klarem Wetter. Die Stube war geschmückt mit Weihnachtsbaum und Krippe.
Plötzlich würde der Ort von Leuchtbomben erhellt und kurz darauf fielen auch schon Sprengbomben."
[...]
"Ein anderes Mal kam eine entzückende Soubrette, die die Hauptrolle in einer Operette von Nico Dostal, Clivia', sang. Das Kind hatte sie darin bewundern dürfen. Sie war ungarischer Herkunft - eine blondgelockte Schönheit.
Beide Male war das Kind in Gegenwart solcher großer Stars etwas nervös und unsicher. Und eines Tages, als es wieder, zwar etwas beklommen, aber fröhlich, die Treppe hinaufsteigen wollte, hieß es: Herr Rhoden ist nicht mehr da.'
Was war geschehen?
Die rundliche Gemüsefrau sagte: Sie haben ihn abgeholt, mitten in der Nacht, deportiert nach Theresienstadt ...'
Und die Tränen kullerten ihr über das Gesicht."Bomben und Tiefflieger, Nazis und Vertreibung, Kinderlandverschickung und fehlende Väter: das Leben der Kinder im zweiten Weltkrieg war alles andere als leicht. 61 Zeitzeugen berichten in diesem Buch aus ihren Kindheitserinnerungen. Da ist die Mutter, die zu jeder Veranstaltung fährt, auf der Hitler auftritt und die Mutter, die verhindert, dass der Sohn auf das Elitegymnasium NaPoLa der Nazis geschickt wird. Väter, die Beute aus den besetzten Gebieten nach Hause schicken und der geliebte Musiklehrer, der plötzlich verschwindet. Der Zug, der ein Mädchen zurück nach Hamburg bringt, fährt nur noch im Schritttempo durch eine Steinwüste voller Ruinen. Ein Mädchen verliert in einem überfüllten Zügen die Mutter. Bei einem Bombenalarm wird die geliebte Puppe zertreten.
Und dennoch finden die Kinder Gelegenheiten zum Spielen, es gibt Kindergeburtstage mit improvisierten Süßigkeiten. Und immer wieder unerwartete Hilfe, Menschen, die sich nicht kennen, sich aber dennoch beistehen im großen Kriegschaos. Gerade die Gegensätze sind es, aus denen sich ein Bild formt.
Die Geschichten sind ganz unterschiedlich geschrieben, niemand soll hier literarische Bearbeitung erwarten. Aber darin besteht auch die Stärke des Buches.
Fazit: Geschichten wie Puzzleteile, die zusammen dem Leser ein Bild vermitteln, was es hieß, als Kind im zweiten Weltkrieg aufzuwachsen.
Über die Zeitgut Reihe: Seit 1997 sammelt der Journalist Jürgen Kleindienst Erinnerungen aus allen Epochen des zwanzigsten Jahrhunderts und stellt daraus Sammelbände im Zeitgut Verlag vor.
Gebrannte Kinder, Jürgen Kleindienst (Herausgeber), historische Berichte, Zeitgut, 6. Auflage 2005
ISBN 3933336252, gebunden, 384 Seiten, Euro 18,90
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