Meine Lieblings-Flops gefolgt von einem Ideenmagazin. Sachbuch.
Hans Magnus Enzensberger, Suhrkamp, Dezember 2010

Meine Lieblings-Flops gefolgt von einem Ideenmagazin

» Meist folgt dem dumpfen Geräusch, das ein Flop verursacht, ein vernehmliches, lang anhaltendes Stillschweigen. Liebe Schwestern und Brüder in Apoll, ihr mögt dichten, spielen, malen, filmen, singen, meißeln oder komponieren – warum erzählt ihr so ungern von euern kleinen oder großen Debakeln? Geniert ihr euch? Plagt euch die Sorge, ihr könntet euch blamieren? Aber in diesem Punkt möchte ich euch beruhigen. Aus allem, was ihr mir unter der Hand anvertraut habt, schließe ich, daß ich nicht der einzige bin, der auf interessante Flops zurückblicken kann. Sonst würde ich mir nicht die Mühe machen, sie vor euch auszubreiten. Warum tut ihr nicht desgleichen? Ihr würdet merken, daß eine solche Übung nicht nur lehrreich und erfrischend, sondern auch amüsant sein kann. Denn jeder Peinlichkeit wohnt eine Erleuchtung inne, und während der Arbeiter im Weinberg der Kultur seine Erfolge rasch zu vergessen pflegt, hält sich die Erinnerung an einen Flop jahre-, wenn nicht jahrzehntelang mit geradezu blendender Intensität.
Triumphe halten keine Lehren bereit, Mißerfolge dagegen befördern die Erkenntnis auf mannigfaltige Art. «

Künstler lieben ihre Erfolge, über nichts sprechen sie lieber. Dabei sind es oft die Misserfolge, denen sie am meisten verdanken. Durch Fehler werden wir klug, sagt der Volksmund und da hat er zweifelsohne recht.

1965 begründete Hans Magnus Enzensberger das Kursbuch, eines der erfolgreichsten Zeitschriftenprojekte, das über vierzig Jahre die deutsche Republik begleitete, kommentierte und prägte. Die andere Bibliothek wurde von ihm gegründet, zahlreiche Essays und Bücher zu künstlerischen und politischen Themen machten ihn berühmt.

In diesem Buch schildert er seine Flops, 22 Projekte, die aus verschiedensten Gründen scheiterten. Bei vielen bietet er dem Leser zudem eine Leseprobe, die erahnen lässt, wie dieses Projekt ausgesehen, gewirkt haben mag.

Das Kursbuch wurde ein Erfolg, jetzt stellt er Projekte vor, die nicht dieses Glück hatten. "Gulliver" und "Intelligenzblatt" erblickten nie das Licht der Öffentlichkeit, "Transatlantik" scheiterte früh. Obwohl, am Glück lag es wohl nicht, dass diese Drei floppten, während das Kursbuch florierte.

Denn Enzensberger schildert die Konzepte, die allen drei Projekten zugrunde lag. Wer sich auskennt, vermutet schnell die Gründe der Flops. Doch Enzensberger benennt sie nicht. Das gilt auch für die Flops aus Kino, Theater und Oper, die er schildert.

Das ist das Problem des Buches. Die Geschichte der Flops wird erzählt, die Gründe aber so gut wie nie diskutiert. Das wäre aber genau das Interessante an dieser Flopgeschichte. Was kann man daraus lernen?

Sicher eins: Dass im Kino, Theater, Oper häufig Personen die Musik machen. Vor allem dann, wenn öffentliche Gelder eine Rolle spielen, ist es für jedes Projekt wichtig, erst einmal jemand zu finden, der Macht über die Geldtöpfe hat und sich für das Projekt einsetzt. Stirbt dieser oder verliert seinen Posten, bedeutet das in der Regel auch das Ende für die Projekte, die er vertrat.

Die Flops "gewähren Einblick in die Produktionsbedingungen, Manieren und Usancen der relevanten Industrien und helfen dem Ahnungslosen, die Fallstricke, Minenfelder und Selbstschußanlagen einzuschätzen, mit denen er auf diesem Terrain zu rechnen hat", erklärt uns der Autor im Vorwort. Doch leider ist einer der häufigsten Gründe für einen Flop hausgemacht: Das Projekt ist nicht gut durchdacht oder hat handwerkliche Mängel. Da unterscheiden sich Enzensbergers Flops nicht von den unzähligen anderen, über die jeder Künstler erzählen könnte.

Das ist auch der Hauptnachteil des Buches. Die Gründe, die zum Scheitern führten, lassen sich in einigen Fällen ahnen, werden aber nie benannt.

Zusätzlich zu den Flops stellt Enzensberger 15 Ideen vor. Konzepte, die ihm irgendwann einmal kamen, die er aber nie weiterverfolgt hat. Jeder von uns hat weit mehr Ideen, als er je verwirklichen könnte, schreibt er und beweist das mit seinem "Ideenmagazin". Diese Skizzen bildet den zweiten Teil des Buches, naturgemäß ist es sehr unterschiedlich zum anderen Teil des Buches.

So gut die Idee war, einmal Flops vorzustellen, statt sich in den Erfolgen zu sonnen, so sehr bleibt das Buch in der Diskussion an der Oberfläche stecken und bringt darum nur bedingt den Lerneffekt hervor, den es anstrebt. Und auch das ganz andere Ideenmagazin in der zweiten Hälfte ändert nichts daran, dass beim Leser ein zwiespältiger Eindruck von diesem Werk zurückbleibt.

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