Sie nannten mich Familienbulle. Sachbuch.
Alfred Klaus, Hoffmann und Campe, September 2008

Sie nannten mich Familienbulle

Alfred Klaus wollte die RAF verstehen, um sie bekämpfen zu können. Als Sonderermittler des BKAs besuchte er Verwandte und Freunde der RAF Kader, las alle ihre Texte und konnte zum Schluss Texte verfassen, die "original-Meinhof" klangen.

Seine Kollegen nannten ihn den "Chefideologen der Raf", Ulrike Meinhof den "Familienbullen". Und um Ulrike Meinhof drehten sich oft auch die Gedanken Klaus´. Im Prozess sagte die Meinhof einmal: "Wie kann ein isolierter Gefangener den Justizbehörden zu erkennen geben, dass er sein Verhalten geändert hat?"

Diesen Satz kommentiert Klaus:

"War ihm [dem Richter] denn nichts aufgefallen? Sie hatte sich doch mit ihren Worten eindeutig von der Gruppe distanziert. Zweifel bedeuteten bereits Verrat. Das, worauf ich so lange gehofft hatte, nämlich sie aus dem fatalen Geflecht herauszulösen, hätte zu dem Zeitpunkt vielleicht noch funktioniert.
[...]
Schon Jahre vorher war mir anhand der Zellenzirkulare klar geworden, in welcher Isolation sich Ulrike Meinhof befand."

Doch bevor er etwas tun kann, erhängt sich die Meinhof. "Ich war tief betroffen und fühlte mich auch irgendwie schuldig", sagt Klaus dazu. Nicht nur die Meinhof beschäftigt ihn. Sondern die ganze Struktur der Gruppe, die einen enormen psychischen Druck auf ihre Mitglieder ausübt. Erstaunlich, wie viele Gedanken sich eine Polizei machte, die laut RAF doch faschistisch war und nur darauf aus, Widerstandskämpfer umzulegen.

Das Buch lässt diese Zeit aus der Sicht eines Polizistens, eines "Pigs", eines "Schweins" laut RAF, lebendig werden. Doch auch die Polizei lebt in der deutschen Gesellschaft und auch Klaus erlebt, was sich in diesen Jahren alles änderte. Wie soviele hatte er jahrelang an einer längst toten Ehe festgehalten, bis ihm dann seine große Liebe begegnet. Dass er diese private Entwicklung in seinem Buch nicht auslässt, ist ihm hoch anzurechnen. Weil auch das nämlich die damalige Zeit lebendig werden lässt.

Gerne wird die RAF als rein kriminelle Gruppe bezeichnet. Beate Sturm, eine Ex-Raflerin, die früh aus der Gruppe ausstieg, sagte laut Klaus: "Baader machte Krimi und zog dabei unsere halb politischen Ansätze auf sein Niveau herunter." Viele schlussfolgerten daraus, dass die Gruppe eben einfache Kriminelle waren und das ganze politsche nur Getue. Klaus begeht diesen Fehler nicht und vertrat das auch gegenüber seinen Kollegen: " Wieder einmal bemühte ich mich, allen klarzumachen, dass wir es nicht mit gewöhnlichen Kriminellen zu tun hatten." Hätte es sich wirklich nur um Kriminelle gehandelt, wäre die Arbeit der Polizei um ein Vielfaches leichter gewesen - und Klaus wusste das.

Um so mehr hofft er, dass irgendwann allen ein Licht aufgehen würde, um welche Sorte Leute es sich bei der RAF handelte. Als in der Uni Frankfurt ein Tonband von Ulrike Meinhof abgespielt wird, in dem sie arrogant die Bombenanschläge rechtfertigt und die Zuhörer zum bewaffneten Kampf aufruft, erlebt Klaus, wie die versammelten Linken überwiegend mit Ablehnung reagieren. "Die Bande hat sich den letzten Rest von Sympathie unter den Linken zerbombt", erklärt er seinen Kollegen und irrt sich, wie so mancher anderer.

Dass die RAF als Gefangene die größte Wirkung erzielen würde, daran dachte er nicht im Traum. Doch als "arme Opfer" konnte man sich mit ihnen solidarisieren, ohne dass man ihre reichlich abstrusen Ziele übernehmen musste.

Dann wird Schleyer entführt. Die Regierung will hart bleiben, die Terroristen, die Schleyer gefangen halten, bleiben das auf jeden Fall und Klaus möchte Schleyer retten. Dazu hat er einen eigenen Plan, der die inhaftierten Terroristen ins Spiel bringen soll. Vielleicht sind diese nicht so stur, wie ihre Kollegen draußen? Er führt mit Raspe, Ensslin, Baader Gespräche, diese erklären ihm, dass sie bei einem Austausch nicht vorhätten, nach Deutschland zurückzukehren. Daraufhin verfasst er ein Memorandum, das aber sein Vorgesetzter Dr. Herold ablehnt und nicht einmal dem Krisenstab gegenüber erwähnt.

"ich werfe mir vor, dass ich der Order, über meinen Alternativvorschlag zu schweigen, gefolgt bin." Vor allem, weil die unflexible Haltung der Regierung nicht, wie erhofft, Menschenleben gerettet habe, sondern im Gegenteil mehr Leben kostete, denn: "Das Gegenteil von dem, wa die Politiker immer versichert haben, ist eingetreten: Die harte Haltung der Bundesregierung förderte einen neuen Terrorismusschub, und das in einem weit größeren Ausmaß, als ich es mir beim letzten Gespräch mit Herold vorgestellt hatte. Kann er sich wirklich nicht mehr an meinen Alternativvorschlag erinnern?"

Mit Herold hatte Klaus schon vorher immer wieder Probleme. Auch wenn er sich diplomatisch ausdrückt, wird klar, dass er er von seinem Vorgesetzten und dessen Politik nicht viel hielt.

Was wäre gewesen, wenn die Regierung damals tatsächlich mehr Flexibilität an den Tag gelegt hätte? Auch wenn ich mir - anders als Klaus -  Baader nicht als Frühpensionär im vietnamesischen Teehäusern vorstellen kann, dazu war der Mann viel zu publicity-geil, trotzdem halte ich die damalige starre Haltung für verhängnisvoll. Selbst wenn man humanitäre Aspekte beiseite lässt, auch aus militärischen Gesichtspunkten war es fatal. Flexibilität und Überraschung sind eine der wichtigsten Voraussetzungen des Erfolgs, das wusste schon Clausewitz.

"Sie nannten mich Familienbulle" ist ein gut geschriebenes, wichtiges Buch über die RAF. Weil es diese einmal aus der Sicht der Polizei schildert und weil es auch die Zeit lebendig werden lässt. Wer sich über die RAF informieren will, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

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