Erst Lesen. Dann Schreiben. Schreibratgeber.
Porombka/Kutzmutz (Hrsg), Luchterhand, Juli 2007


"Während der Lehrmeister gemeinhin Sicherheiten anbietet, streut Lichtenberg Zweifel: Immer sich zu fragen, sollte hier nicht ein Betrug stattfinden, mahnt er und er geht noch weiter: Zweifel an allem wenigstens EINMAL, und wäre es der Satz: zweimal 2 ist 4."

Robert Gernhardt liebte Lichtenberg. Und er hat eine Menge von ihm gelernt. Was, das erzählt er uns im ersten Essay dieses Buches, das uns etwas über das Schreiben verraten will, in dem es Bücher auseinander nimmt; in dem Autoren uns sagen, was sie bei wem gelernt haben.

Die Lyrikerin Ulrike Draeser, der Thrillerautor Andreas Eschbach, der Bestsellerautor Daniel Kehlmann und neunzehn weitere, sehr unterschiedliche Autoren schreiben über bekannte und unbekannte Bücher - und was man daraus lernen kann.

Allein das ist schon bemerkenswert. Wer in Interviews erfolgreiche Autoren fragt, was sie Nachwuchsautoren empfehlen, erhält in zwei von drei Fällen die Antwort: Viel Lesen. Was sehr viel seltener, ja fast nie gesagt wird: Wie man beim Lesen fürs Schreiben lernen kann. So einfach ist das nämlich nicht. Wer viele Klavierkonzerte besucht, wird dadurch noch nicht zum Pianisten und wer jede Sportschau guckt, ist deshalb noch lange nicht auf dem Weg zum erfolgreichen Torjäger. Das gilt im besonderen Maße für das Schreiben, denn wir lernen zwar auf der Schule, Literatur zu interpretieren, nachzuerzählen, lesen Rezensionen und Essays über Bücher.

Aber wo findet man die Baupläne? Wie haben die Autoren es gemacht? Da hilft keine Rezension weiter und keine Interpretation, da geht es nicht darum, was im Buch steht, warum es fasziniert. Da geht es um das Wie. "Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht?" fragte Truffaut und daraus ist ein Band mit Gesprächen geworden, der eine Menge verrät, wie Hitchcock Spannung und Atmosphäre erzeugte und wie er seinen Personen Leben einhauchte. Ähnliches soll dieser Band für die Literatur leisten.

Andreas Eschbach untersucht, wie Georges Simenon in seine Figuren eintauchte, zu seiner Romanfigur wurde. Adalbert Stifters Scheitern in "Witiko" findet Ulrich Greiner interessant. Nicht nur aus gelungenen Texten kann man lernen, oft ist gerade interessant, was nicht gelungen ist - und warum.

Antje Strubel stellt Didions "Demokratie" vor. Ein Buch, das mit der ersten Person beginnt "Stell dir deine Mutter beim Tanzen vor", später alles noch mal aus der dritten Person schildert: "Inez stellte sich ihre Mutter beim Tanzen vor", dann distanziert: "Inez erinnerte sich an ihre Mutter beim Tanzen" um dann noch eins draufzusetzen: "Sie werden sehen, dass die Töchter in romantischen Geschichten sich immer an ihre Mütter beim Tanzen erinnern". Sicher kein Buch, das man an den Strand mitnimmt, nicht mal eins, dessen Bauplan viele Freunde finden wird. Und doch ist genau dies so wichtig. Die Geschichte aus verschiedenen Perpektiven zu erzählen, auszuprobieren, was passt. Nicht nur aus den Büchern, die wir lieben, lässt sich lernen, oft sind es gerade die, die wir eigentlich gar nicht mögen, die uns die besten Anregungen liefern. Joyce C. Oates hat in "Beim Schreiben allein" gezeigt, dass viele bedeutende Autoren bei Vorbildern gelernt hatten, die ganz anders als sie selbst schreiben. In meinen Augen ist eines der größten Probleme, dass viele Autoren zwar viel lesen - aber leider sehr einseitig. Der Literaturfreund nur Literatur, der Fantasy-Fan nur Fantasy, der Krimibegeisterte Krimis. Einseitige Ernährung ist aber nicht gesund, das gilt auch fürs Lesen.

Daniel Kehlmann weist mit Nabokov darauf hin, wie wichtig es ist, sich nicht nur Vorbilder zu suchen, sondern sich auch klarzumachen, was man ablehnt. Burkhard Spinnen betont in seinem Schlusswort: Nicht nachahmen, sondern Verwandlung bringt Autoren weiter.

Wer all die Möchtegern-Carvers in Klagenfurt, die neuen Herrn der Ringe Epen in Fantasy-Foren erlebt hat, kann ihm da nur zustimmen. Viel Lesen hilft nichts, wenn es nur dazu führt, äußere Formen zu kopieren. Autoren müssen sich auch abgrenzen, eine eigene Stimme gewinnen.

Nicht alle Essays sind leicht zu lesen. Manch einer verfällt auch in die Interpretation, die Rezension seines Autors und vergisst, dass es hier um die Technik, um das Wie geht. Was zeigt, wie ungewöhnlich die Sicht auf das "Wie haben sie das gemacht, lieber Autor?" ist und auch, wie ungewohnt für viele, die schreiben. Nicht alle haben wie Andreas Eschbach, Burkhard Spinnen und Olaf Kutzmutz Erfahrung in Schreibwerkstätten. Dennoch lohnt es sich, auch die sperrigen Essays genau zu lesen. Denn hier geht es ums Eingemachte, darum, wie andere Autoren es gemacht haben und darum, wie man diese Baupläne hinter der Fassade erkennen kann.

Leseprobe
Homepage des Herausgebers Olaf Kutzmutz

Erst Lesen. Dann Schreiben, Porombka/Kutzmutz (Hrsg.), Schreibratgeber, Luchterhand, Juli 2007
ISBN 978-3630621159, gebunden, 271 Seiten, Euro 8,00

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