Das Leben entzwei. Roman.
Brigitte Giraud, S. Fischer 2003




"Der Tod anderer kümmerte uns nicht, wir sagten Worte wie ‚abtreten' oder ‚das Handtuch werfen'. [...] Wir setzten uns gekonnt in Szene, und mit uns unsere arrogante Überlegenheit. Wir spielten unsere Alltagsdramen, machten dem anderen Vorwürfe, wenn er vergessen hatte, Brot zu kaufen. [...]
Heute abend ist Claude gestorben, und ich lebe. Er hat mich verlassen, aus Versehen. Und mich hat er zurückgelassen, mit meiner Sehnsucht, meinen Fragen."

Die Ich-Erzählerin stellt in Paris ihren neuen Roman vor, fährt mit dem Zug zurück nach Lyon. Zu Hause erfährt sie, dass ihr Mann verunglückt sei und jetzt im Krankenhaus liegt, im OP. Man erlaubt ihr nicht, ihn zu sehen. Mehr erfährt sie nicht. Erst um Mitternacht sagt man: "Wir konnten nichts mehr tun". Claude ist tot und zwanzig Jahre Zusammenleben Vergangenheit.

Brigitte Giraud erzählt die Tage, die folgen, bis zur Beerdigung. Der Gang zur Polizei, die Übergabe von Claudes Habeseligkeiten im Krankenhaus, das Bestattungsinstitut, die Versicherung, alles das was man tun muss, wenn jemand gestorben ist. Sie steht daneben und beobachtet es, mehr als beobachten kann sie nicht. Wie habe ich mich zu verhalten, wie reagiert "man" in solchen Fällen?, fragt sie sich und findet keine Antwort.

Ein Text, der die Hilflosigkeit dokumentiert - dessen, der zurückgelassen wurde, sich damit abfinden muss, es nicht glauben kann und staunend sieht, wie die Welt sich weiter dreht. Alles, was jetzt bleibt, ist die Erinnerung und ihr gemeinsamer zehnjähriger Sohn.

Die Autorin protokolliert, wertet nicht, versucht mit einer einfachen, einfühlsamen Sprache zu schildern, was kaum zu schildern ist. Kein Buch für den Strand, sicher nicht, aber ein Buch, das schildert, was sonst eher verdrängt wird. Das Glück der Vergangenheit, das erst jetzt sichtbar wird. Das Gefühl, als sei man innerlich abgestorben, tot wie der Verstorbene.

Ärgerlich ist allerdings, wie Fischer das Buch behandelt. Ein Roman sei es und "eine wahre Geschichte", als würde ein Text durch den Stempel "wahre Geschichte" erst zur richtigen Literatur, als wäre "Das blaue Kleid", mit dem Doris Dörrie den Tod ihres Freundes verarbeitet, weniger ernst zu nehmen, weil es "nur" eine erfundene Geschichte sei. Diese Tendenz scheint im Moment Mode zu sein, literarisch wertvoll ist nur noch, was autobiografisch ist. "Herr Lehmann" und "die kleine chinesische Schneiderin" sind zwei Beispiele daraus. Literatur goes Kolportage. Wir Leser dürfen uns da wohl noch auf einigen Schmalz und Kitsch aus angesehenen Literaturverlagen gefasst machen.

Über die Autorin: Brigitte Giraurd wurde 1960 in Sidi Bel Abbes (Algerien) geboren, lebt in Lyon und hat bisher drei Romane veröffentlicht. "Das Leben entzwei" wurde als erstes ihrer Bücher ins Deutsche übersetzt.

Brigitte Giraud, Anne Braun (Übersetzerin): Das Leben entzwei.
110 Seiten, gebunden, S. Fischer 2003
ISBN 3100244206
EUR 14,00

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