Briefe an einen jungen Schriftsteller. Sachbuch.
Mario Vargas Llosa, Suhrkamp, Mai 1997

Briefe an einen jungen Schriftsteller

»Lieber Freund,
Ihr Brief hat mich gerührt, da ich mich durch ihn wieder als Vierzehn- oder Fünfzehnjährigen im grauen Lima der Diktatur des Generals Odría gesehen habe, begeistert von der Vorstellung, eines Tages Schriftsteller zu sein, und gleichzeitig deprimiert, weil ich nicht wußte, was ich tun mußte, wo ich anfangen sollte, um diese Berufung Gestalt annehmen zu lassen, die ich in mir wie einen dringlichen Befehl fühlte: Geschichten zu schreiben, die ihre Leser hinreißen, so wie mich die jener Schriftsteller hingerissen haben, die ich in meinen privaten Pantheon zu stellen begann – Faulkner, Hemingway, Malraux, Dos Passos, Camus, Sartre.
Viele Male ging mir durch den Kopf, einem von ihnen damals lebten sie alle noch – zu schreiben und um Rat zu bitten, wie man Schriftsteller wird. Ich habe mich, aus Schüchternheit oder vielleicht aus diesem hemmenden Pessimismus heraus, nie getraut. Warum ihnen denn schreiben, wenn ich doch weiß, daß keiner sich zu einer Antwort an mich herablassen wird«

Mario Vargas Llosa erinnerte sich genau, wie das war, als er schreiben wollte, aber nicht wusste, wie. Damals gab es wenig, das einem Nachwuchsschriftsteller hilfreich sein konnte. Diese Lücke wollte er 1997 schließen und einiges von seinen Erfahrungen niederschreiben, und verfasste, lange bevor er den Nobelpreis erhielt, zwölf fiktive Briefe an einen jungen Schriftsteller, in denen er über das Schreiben erzählt.

Er beginnt mit dem Schreiben selbst: Nicht zuviel erwarten von Veröffentlichungen, die unsicher sind; nicht auf Märkte schielen, die sich ständig ändern und vor allem nicht für die Veröffentlichung schreiben. „Die wichtigste Eigenschaft der literarischen Berufung ist vielleicht, dass derjenige, der sie spürt, in der Ausübung seine schönste Belohnung sieht“. Aber er warnt auch, dass das gleichzeitig Fronarbeit ist.

Er beschreibt, wie Autoren aus dem eigenen Leben schöpfen und das Ergebnis doch so gar nichts mit Autobiografie zu tun hat. Und warnt, genau wie Stephen King in „Das Leben und das Schreiben“: „Die Schriftsteller, die vor ihren eigenen Dämonen fliehen und sich bestimmten Themen widmen, weil sie glauben, ihre eigenen seien nicht originell oder attraktiv genug und die anderen sehr wohl, irren sich gewaltig. Kein Thema ist per se gut oder schlecht in der Literatur“.

Ein Roman müsse Überzeugungskraft haben, die Figuren bis zum Äußersten ausschöpfen, den Leser in die Geschichte eintauchen lassen, von dieser Faszination handelt der dritte Brief.

In diesen ersten drei Briefen geht er gar nicht auf das Handwerk ein, wohl aber auf die Auffassungen vom Schreiben und widerspricht manchem, das auch in Deutschland gerne in Foren oder Feuilletonbeiträgen über Literatur gesagt wird. Man sollte es gründlich lesen, der Mann hat recht.

Acht weitere Briefe widmen sich jeweils einem Thema, das für das Schreiben wichtig ist. Den Stil behandelt er natürlich, die Perspektive, die Zeit, Realität und Phantastik, Wechsel im Erzählen, unterschlagene Informationen, Erzählungen in der Erzählung und parallele Erzählungen. Auffällig sind hier einige sehr unterschiedliche Blicke auf Geschichten, die sich deutlich von dem unterscheiden, was amerikanische Schreibratgeber und deutsche Literaturwissenschaftler sagen.

So werden die Realitätseben dort sehr selten zum Thema gemacht. Llosa, Kind einer Literatur, in der Phantastisches und Realistisches schon immer zusammengehörte und nicht den abfälligen Blick erntete, schreibt einen eigenen Brief darüber. Von einem durch und durch realistischen bis zu einem völlig phantastischen Roman gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Einsprengsel phantastischer Elemente, die entweder erträumt werden, oder eingebildet sind oder in die Romanwelt einbrechen, phantastische Welten, die reale Elemente enthalten, alles ist schließlich möglich und es ist Llosas Verdienst, dass er diesen wichtigen Punkt thematisiert, der sonst gerne ins Abseits gerät.

Auch in einigen anderen Punkten unterscheidet er sich deutlich. Die Perspektive betrachtet er unter dem Gesichtspunkt, ob der Erzähler selbst Bestandteil der Geschichte ist oder ob und wieweit er von ihr entfernt agiert. Ein ganz anderer Blickwinkel zu der sonst üblichen Perspektivcharakteristika in der Literaturwissenschaft oder in Schreibratgebern.

Dass er die Wechsel in Perpektive, Zeit und Realität als eigenen Brief behandelt und den Perspektivwechsel lobt, vor dem sonst gerne gewarnt wird, ist ein weiterer wichtiger Punkt. Natürlich sind die Warnungen begründet, Anfänger wechseln gerne die Perspektive aus Versehen oder aus Faulheit. Doch Llosas Brief erinnert daran, dass ein gewollter Wechsel auch viel Spannung bringen kann und dass all die Einteilungen der Perspektiven willkürliche Maßnahmen sind, um eine Übersicht zu behalten, nicht aber ein Dogma, dessen Nichtbefolgung den Scheiterhaufen zur Folge hat.

Was alle Briefe auszeichnet: Llosa erklärt gerade heraus, benutzt weder verquaste, scheinbar literarische Sprache, wie es deutsche Literaten bei solchen Themen gerne tun, noch verkündet er Dogmen, wie manche amerikanische Schreibratgeber. Er beschreibt einfach, welche Möglichkeiten es gibt, Romane zu bauen.

Das Buch ist dünn, dementsprechend verweist er zwar auf Beispiele, bringt aber explizit keine. Das wird dann zum Problem, wenn er sich auf spanisch-portugiesische Schriftsteller und Werke bezieht, die in Deutschland leider nicht allgemein bekannt sind.

Dennoch lohnt sich die Lektüre. Gut geschrieben, leicht zu lesen und einmal ein anderer Blick aufs Handwerk. Vielleicht nicht für den blutigen Anfänger, aber für jeden, der sich für Geschichten interessiert und wie sie gebaut werden. Und man sollte seinen zwölften Brief nicht vergessen: „Lieber Freund, sie sollten alles vergessen, was sie in meinen Briefen über Romanformen gelesen haben und endlich anfangen, Romane zu schreiben.“ Auch Schreiben lernt man vor allem dadurch, dass man es tut.

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