Der Marques de Bolibar. Roman.
Leo Perutz, dtv, September 2006


"Ich hob die Pistole und zielte, aber im nächsten Augenblick ließ ich sie wieder sinken. Denn nun wurden wir Zeugen des seltsamsten Vorgangs, den ich jemals in meinem Leben mit angesehen habe. Ein Bruder meiner Mutter ist Arzt in einem Tollhaus in Kissingen, als Knabe habe ich ihn bisweilen besucht. Und wahrhaftig, jetzt glaubte ich mich in den Garten jenes Tollhauses versetzt. Denn einen Schritt hinter dem alten Mann blieb der Mensch stehen, zog den Hut und schrie mit überlauter Stimme:
"Herr Marques de Bolibar!"
[...]
Doch das sonderbarste war, dass der alte Mann seines Wegs ging und so tat, als hätte er nichts gehört."

1812 in Spanien, zwei deutsche Rheinbund Regimenter sollen die kleine Stadt La Bisbal besetzen und von der spanischen Guerilla säubern, die gegen die napoleonischen Truppen kämpfen. Keine schwierige Aufgabe, denn sie haben bereits ein Gefecht gegen den Guerillaführer "Gerberbottichs" gewonnen.

Doch da berichtet ein Offizier, dass er ein Geheimgespräch zwischen dem Marques de Bolibar, dem Gerberbottich und einem englischen Verbindungsoffizier belauscht habe. Der Marquez hat einen teuflischen Plan ersonnen, die beiden Regimenter zu vernichten. Er wird der Guerilla drei Zeichen geben, wann sie welchen Teil des Plans erfüllen sollen.

Aber der Marques wird aufgrund einer Verwechslung erschossen. Also sind die deutschen Soldaten sicher. Und doch wird nacheinander jedes der drei Zeichen gegeben, jedes Teil des Plans exakt erfüllt, weil ...

Leo Perutz erweist sich in diesem Roman einmal mehr als Meister. Im Stil eines Abenteuerromans geschrieben ist dieses Werk doch viel mehr. Einmal mehr nimmt es den "magischen Realismus" voraus - in dem Roman taucht ein Offizier auf, der der ewige Jude zu sein scheint, aber ist er es wirklich? - und ist gleichzeitig eine kunstvolle Komposition, die verschiedene Handlungsfäden geschickt verknüpft; geschrieben in einem Stil, der den Leser glauben lässt, er erlebe wirklich die napoleonischen Kriege mit.

Unfassbar, dass dieser Autor von den Nazis 1938 vertrieben, in Deutschland erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt wurde. Dabei zeigt er, wie man Spannung, Stil und Literatur vereint und obendrein auch, wie sich eine Geschichte komponieren lässt. Jeder, der Geschichten schreiben möchte, sollte Perutz studieren. Und Bücherfan ihn lesen.

Fazit: Ein spannendes Historienabenteuer und gleichzeitig ein Musterbeispiel der gelungenen Komposition einer Geschichte.

Über den Autor: Leo Perutz wurde 1882 in Prag geboren und zog 1899 mit seiner Familie nach Wien. 1938 emigrierte er nach Tel Aviv. 1957 starb er in Bad Ischl. Er schrieb zahlreiche historische Romane, darunter "Nachts unter der steinernen Brücke", "die letzte Kugel", "der Judas des Leonardo", die historische Tatsachen mit phantastischen Elementen verknüpften. In den zwanziger Jahren berühmt, wurde er von den Nazis vertrieben. Auch nach Ende des dritten Reiches erreichten seine Bücher in Deutschland nie wieder die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Erst in den Neunziger Jahren wurde er wiederentdeckt als einer der ersten Vertreter des "magischen Realismus".

Der Marques de Bolibar, Leo Perutz, Roman, dtv, September 2006
ISBN 10: 3-423-13492-5, ISBN 13: 978-3-423-13492-5, TB, 251 Seiten, Euro 9,50

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