Bestseller. Roman.
Klaus Modick, Eichborn, August 2006


" Höchste Zeit, die Wahrheit zu sagen. "Nichts als die Wahrheit" (Dieter Bohlen). Um falschen Erwartungen vorzubeugen, gebe ich allerdings zu bedenken, daß es "die" Wahrheit nicht gibt, sondern bestenfalls meine subjektive Wahrheit der leidigen und extrem dumm gelaufenen Affäre. Die "volle" oder "ganze" Wahrheit ergäbe sich vielleicht, wenn alle Beteiligten ihre Sicht der Sache darlegten; aber es wäre von mir zuviel verlangt und Ihnen als Leser nicht zumuten, all diese Hochstapler und Schwadroneure, Schaumschläger und Betriebsnudeln noch einmal zu Wort kommen zu lassen."

Lukas Domcik ist Schriftsteller mit Ansprüchen, aber knapper Kasse. Da käme ihm die Erbschaft von Tante Thea grade recht. Leider ist da nicht viel zu erben und so muss er sich mit einem Koffer voller Notizen, Zetteln und Heften begnügen. Backfischlyrik findet sich darin, glühende NS-Reime und die Memoiren der alten Dame, in denen sie - anders als in der Realität - angeblich bereits 1942 mit den Nazis gebrochen habe.

Müll auf gut Deutsch gesagt. Eines ernstzunehmenden Schriftstellers unwürdig. Doch da ist Domciks Verleger, der seinen Autor in lukrativere Schreibgewässer drängen möchte. Dokufiction, Nazis und Weltkrieg, das boomt. Letzteres kann man von Domciks Büchern nicht gerade behaupten.

So kommt ihm ein teuflischer Plan. Wenn Tante Thea sich schon selbst mit ihrer Nazi-Widerstandsgeschichte betrogen hat, warum das nicht ausbauen? In vierundzwanzig Stunden legt er ein Expose vor, in dem sich Tante Thea von einer glühenden Nazi-Verehrerin in eine Widerstandskämpferin verwandelt und als krönenden Abschluss dann politisch korrekt einen Juden heiratet.

Nur leider, Domcik ist alles andere als telegen. Doch der alternde Schriftsteller hat sich in die junge Kellnerin Rachel verguckt und baut diese als Schriftstellerin in seinen Plan ein, instruiert sie, als Autorin aufzutreten. Interessieren sich FAZ und Spiegel nicht längst mehr für hübsche Lärvchen als für gute Texte?

Der Plan klappt. Leider etwas zu gut und aus dem Dokufiction-Betrüger Domcik wird ein Betrogener, dessen Lorbeeren ein junges Fräuleinwunder einsammelt.

Modick hat eine bedrückend echte Satire geschrieben. Die Geilheit nach authentischem Nazikitsch; nach verwertbaren Lebensbeichten, die sich nahtlos in die politsche Landschaft und ihre Bedürfnisse nach Verharmlosung einpassen lassen; nach Autobiografischem in Romanen; nach hübschen Gesichtern; nach Textkritiken, die viel über Autoren, aber wenig über die Texte sagen, diese Geilheit wird hier glaubhaft auf die Spitze getrieben.

Denn es könnte so gewesen sein. Kein Zweifel, hätte jemand eine solche Lebensbeichte geschrieben mit einer derartig anziehenden jungen Autorin, sie hätten alle angebissen, die Literaturredakteure wie die Lifestyle-Journalisten. So sind auch die Rezensionen am Ende des Buches zwar erfunden, aber leider mehr als glaubhaft.

Doch Modick nimmt nicht nur das deutsche Feuilleton aufs Korn. Denn auch sein mittelmäßig erfolgreicher Autor Domcik persifliert sich selber, hält sich genauso wie die von ihm verachteten Kulturredakteure für etwas besseres, blickt voller Verachtung auf die Spießer herab, die ihn oberlehrerhaft ermahnen, doch die neue Rechtschreibung zu verwenden, nur um wenig später selber ebenso oberlehrerhaft den Schaffner über Plural und Singular, Konjunktiv und Indikativ zu belehren. Wenn die Rede auf Frankfurt am Main kommt, muss Domcik unbedingt eine Seite über Frankfurt an der Oder und die Wiedervereinigung aufs Platteste parlieren und weder Handy noch Sushi-Bars sind vor seinen Klischees sicher. So gewinnt der Leser den Eindruck, dass Domciks Verleger vielleicht sogar Recht hat, wenn er ihn auf neue Schreibfährten bringen wollte.

Auch Domcik ist eben ein Vertreter des deutschen Kulturbetriebes, über dessen Stammtischen Klischees die absolute Luftherrschaft haben.

Ein wenig ist das auch ein Problem des Buches. Manchmal ist es einfach langatmig, wenn der Ich-Erzähler Domcik vor sich hinnölt und all das bejammert und aufzählt, was ihm nicht passt, als stünde er in einer Kneipe am Tresen und hätte das fünfte Bier intus. Der Leser hätte die Karikatur durchaus verstanden, auch wenn es - gerade wenn es! - etwas kürzer ausgefallen wäre.

Doch die zahlreichen bekannten und weniger bekannten Fälschungs- und Reality-Soapstories aus dem Literaturbetrieb und seinem Jahrmarkt vieler Eitelkeiten versöhnen dann doch wieder. Und man mag es kaum glauben, eben trudelte mir eine Buchvorankündigung ins Haus, die direkt von Domcik entworfen sein könnte: "Schätzchen & Frauchen" von Stephan Hinrich aus dem Vive! Verlag. Die Realität schreibt eben doch die besten Satiren.

Fazit: Eine unterhaltsame Realsatire aus dem deutschen Kulturbetrieb, zur Stärkung der Abwehrkräfte gegen literarische Hochstapler unbedingt zu empfehlen.

Leseprobe
Interview mit Klaus Modick (3 Teile):
Teil 1
Teil 2
Teil 3

Bestseller, Klaus Modick, Roman, Eichborn, August 2006
ISBN 10: 3821857455, ISBN 13: 9783821857459, gebunden, 271Seiten, Euro 19,90

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