Anidas Prophezeiung. Roman
Susanne Gerdom, Heyne 2003
Auch Fantasy verdient PhantasieAnida wächst als jüngste Tochter eines kleinen Lords auf. Ihre ältere Schwester wird bald heiraten, hübsch und schön freut sie sich auf ihre Zukunft als Lady und Mutter. Doch das ist nicht die Zukunft, die Anida vorschwebt, erst recht nicht, nachdem ihre Tante, die oberste weiße Hexe und Äbtissin eines Ordens zu Besuch kommt und ihr zeigt, dass Frauen auch andere Wahlmöglichkeiten haben. Auch ihr Bruder möchte viel lieber bei dem Dorfzauberer die graue Magie lernen, als mit Vaters Ritter Schwertkampf zu üben.
Anida ist dürr, zu groß und spitzknochig ist. So ist ihr Vater stolz, als er mit einer großen Mitgift doch eine Ehe arrangieren kann. Um so größer die Empörung, als Anida sich weigert.
"Was soll das heißen, du willst Reinald nicht heiraten, hatte Joris gebrüllt. Er hatte vor ihr gestanden, den ergrauten Kopf grimmig zwischen die Schultern gezogen und erregt die Fäuste geballt."
Schon hier zeigt sich ein Mangel des Buches. Immer wieder fällt die Autorin in das Plusquamperfekt in Flashbacks, erzählt, was sie glaubt, dass der Leser wissen muss und verlässt die Perspektive ihrer Figuren und den Fluss der Erzählung. Der Leser wird aus dem Text geworfen. Schade, denn mit Anida und ihrem Bruder, mit dem Vater und seinem Ritter Simon hat die Autorin Figuren, denen sich durchaus zu folgen lohnt, die nicht nach dem leidigen Heldenschema mancher Fantasybücher gestrickt sind.
Hinzu kommt die fatale Neigung der Autorin zu Adjektiven, die mich als Leser immer wieder aus dem Text wirft. Muss ich unbedingt erfahren, dass die Butter goldgelb ist? Muss jedes Substantiv gleich zwei, noch dazu nichtssagende Adjektive erhalten? "Wenn sie ein Adjektiv treffen, bringen sie es um", riet Mark Twain mal einem Autor. Und Ursula K. LeGuin hat in "Steering the craft" Autoren ein probates Mittel gezeigt, zwischen nötigen und unnötigen Adjektiven zu unterscheiden. Man nehme eine Seite seines Textes. Dann nehme man den gleichen Text noch mal, streiche alle Adjektive heraus und vergleiche beide Fassungen - welche Adjektive sind nötig, welche sollte man besser weglassen? Die meisten Adjektive in Anida könnten ersatzlos gestrichen werden und der Text würde dadurch nur gewinnen.
Erst im letzten Drittel gewinnt das Buch Fahrt. Anida muss den Nebelhort erkunden, über den man wenig weiß und der durch undurchdringlichen Nebel vom Rest der Welt getrennt ist. In letzter Zeit hat sich diese Nebelgrenze ausgedehnt, ganze Dörfer und Städte verschlungen und der schwarze Orden sei wieder aktiv, heißt es. Anida trifft den fetten Wirt Marten, einen Schmuggler und Liebhaber guter Küche, der sie abstößt und fasziniert. Marten lebt an der Grenze zum Nebelhort und ist einer der wenigen, die wissen, wie man die Grenze durchdringt und der sich in Nebelhort auskennt. Aber kann Anida einem Gauner und Menschenhändler trauen?
Als Leser bin ich von dem Buch hin- und hergerissen. Grade in der Mitte habe ich oft den Eindruck, da wird erzählt, weil der Verlag glaubt, so verkaufe sich ein Buch. Kaum ein deutscher Verlag hat so konsequent wie Heyne versucht, sein Programm auf Verkäuflichkeit zu stylen und Trilogien verkaufen sich im Fantasybereich besser als einzelne Bücher. War das der Grund, dass das Buch vor allem im mittleren Drittel den Eindruck macht, es sei künstlich aufgebläht worden?
Sechs Herzen kommen in Anidas Prophezeiung vor, von denen das sechste nie hätte geschaffen werden dürfen. Musste das Buch diese magischen Artefakte haben, weil sie schon in so vielen anderen erfolgreichen Büchern auftauchen, weil der Verlag glaubt, es verkauft sich so besser? Die Autorin handelt es jedenfalls so lieblos ab, dass dieser Eindruck entsteht und sie schildert es, als ob sie es schildern müsse, oder glaubt, es zu müssen.
Das letzte Drittel mit Marten ist die Geschichte, die die Autorin (und damit den Leser) fasziniert und es wäre besser gewesen, Heyne hätte sich darauf beschränkt - auch wenn es dann keine Trilogie geworden wäre. Manchmal ist alles, was einen guten Text von einem mittelmäßigen unterscheidet der Rotstift und der Mut zur Kürze. Und wer dem Lesergeschmack zu sehr nachläuft, in dem Stil schreibt, in dem schon viele andere erfolgreich geschrieben haben, wird die Leser irgendwann langweilen. Das tut den Bilanzen auch nicht gut.
So ist Anidas Fluch ein Beispiel, wie mit wenig Aufwand ein gutes Buch aus dem Text hätte entstehen können - doch leider, es hat nicht sollen sein.
Über die Autorin: Susanne Gerdom arbeitete viele Jahre als Bühnenbildnerin und Regisseurin, bevor sie SF und Fantasy schrieb. Sie lebt in Düsseldorf
Susanne Gerdom, Anidas Prophezeiung.
Heyne 2003
ISBN 3-453-87065-4
€8,95
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