Abgründe – Wenn aus Menschen Mörder werden. Sachbuch.
Josef Wilfling, Heyne, April 2011

Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden

Jahrzehntelang war er Ermittler in München in unzähligen Mordkommissionen, hat an die 100 Mordfälle bearbeitet. In diesem Buch schildert er einige davon, die Ermittlungen, die Hindernisse, wieviele Beamte an solchen Ermittlungen beteiligt sind und wie frustrierend die Arbeit sein kann.

Frustrierend auch oft seine Erfahrungen mit Gerichten. Verständlich, denn oft lassen sie Menschen laufen, die die Beamten für schuldig halten. Aber andererseits: Wer würde schon gerne in einem Land leben, in dem die Gerichte nicht im Zweifelsfall für den Angeklagten entscheiden würden?

Fälle und Ermittlungen sind spannend und gut beschrieben, das Buch liest sich weg wie ein Krimi und gruselt weit mehr: Immerhin haben wir es hier mit echten Leichen zu tun, mit echtem Blut und nicht mit Tomatenketchup. Interessant natürlich, worin sich reale Ermittlungsarbeit und Krimi unterscheiden - und worin sie sich dann doch treffen. Im Verhör zum Beispiel.  "Auch der erfahrenste Vernehmungsbeamte kann nie sagen, wie eine Vernehmung verlaufen und wie sie enden wird", sagt er. Oft ist der Satz "Ich kann doch nicht was gestehen, was ich nicht getan habe", der Anfang zu einem richtigen Geständnis.

Eindrücklich schildert er einige Fälle, in denen das Verhör zum Geständnis führte und zeigt, wie wichtig eine "menschliche" Verhörtechnik ist. Eine, die den Angeklagten ernst nimmt, ihn bestätigt und quasi die Welt durch seine Brille sieht. Nicht ganz einfach, denn das erfordert einiges. Vor allem, wenn man es mit einem Sexual-Täter zu tun hat oder mit einem Kollegen der Polizei, der aus reiner Habgier zwei Menschen abschlachtet. Diese beiden Fälle werden am eindrücklichsten, ausführlichsten geschildert, hier liefert Wilfert nicht nur eine Schilderung der Ermittlungen, sondern gleich noch ein Psychogramm der Täter. Im Fall des Polizisten gesteht er freimütig, wie schwierig es war, gegen jemand zu ermitteln, der quasi "Familienangehöriger" war - auch wenn Wilfig natürlich wusste, dass Polizisten genauso morden können wie andere Menschen auch.

Auch die anderen Fällen lässt er lebendig werden und zeigt, warum er zur Meinung kam, jeder Mensch könne zum Mörder werden.

Dass der mordende Polizist ganz am Schluss zu ihm sagt: "Ich hab es getan. Sie haben es von Anfang an gewusst, Herr Wilfling. Ja? Sie haben es gewusst" ist ein schwacher Trost, nachdem er in der Nacht zuvor die Leichen besichtigen musste und nun das ausführliche Geständnis eines kaltschnäuzigen Täters anhören muss.

Ein Buch, das spannender ist als so mancher Krimi.

Leseprobe

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