Gedanken über das Schreiben. Drei Essays.
Bernhard Schlink, Diogenes, Mai 2011

Gedanken über das Schreiben

Poetik Vorlesungen gibt es mittlerweile viele, und viele erscheinen anschließend in Buchform. Nicht alle diese Bücher bereichern unser Wissen über die Poetik, oft genug nutzen die Autoren die Gelegenheit, die eigene Belesenheit stolz vorzuführen. Oder ein großes Gedankengebäude zu errichten, was denn Poetik und Schreiben eigentlich sei.

Schlink tut weder das eine noch das andere. Stattdessen hat er drei Essays verfasst über drei Themen, die ihm wichtig sind. Nüchtern, ohne falsches Brimborium schildert er seine Erfahrungen als Autor mit "Über die Vergangenheit schreiben", "Liebe" und "Heimat".

Der erste Essay ist etwas irreführend überschrieben, denn es geht nicht eigentlich um Vergangenheit, sondern um Wahrhaftigkeit in der Literatur. Aber was heißt "wahrhaftig"? Oft wird verlangt, dass Geschichten "typisch" sein müssten: der SSler, der ein Monster ist, weil er monsterhafte Taten begeht. Ihn menschlich erscheinen zu lassen, verharmlost das dritte Reich, beleidigt die Tausende, die er ermordet hat?

Aber betrügen wir uns nicht damit selbst, wird die Literatur nicht genau dann unwahrhaftig? Wenn wir nur das Typische, das Erwartete beschreiben? Schlink verstehe den Wunsch nach einer Welt, in der die, die monströse Verbrechen begehen, Monster sind. Das ist das, was wir Leser erwarten, uns erhoffen. Wir wollen die Nazis nicht vermenschlichen.

Schlink sieht aber auch die Gefahr. Den typischen Bösewicht zu schaffen, ist so vereinfachend und irreführend wie die Schaffung jedes anderen Stereotyps. Schlink gehört zu der Generation, die wieder und wieder erlebt hat, dass jemand, den sie respektiert und gemocht hatten, an den Furchtbarkeiten des Dritten Reichs beteiligt war und er erzählt von dem Lehrer, dem er die frühe Liebe zur englischen Sprache verdankt, vom Professor, der ihm die Welt des Rechts mit ihrer Philosophie, Geschichte und Soziologie erschloss. Bei beiden kam später, sehr spät, heraus, dass sie dick am Dritten Reich beteiligt waren.

Geschichten zeigen das Besondere, nicht unbedingt das Typische. Sie sind keine Sachbücher, keine Dokumentarfilme.

Auch der zweite Teil über die Liebe behandelt wieder das Typische, das, was Leser erwarten. Sie schreiben über die Liebe, aber die Liebe in dem Buch ist keine normale Liebe, sagen ihm Leser. Können sie nicht über normale Liebe schreiben? Und Liebe ist nur dann Liebe, wenn sie glücklich ist oder endet. Was schrecklich endet, kann keine Liebe sein.

Aber Schlink liebt seine Figuren, Hanna Schmitz und Ferdinand Korten, die Leben, Liebe und Moral nicht zusammenbringen. Er würde, wenn er über ihn schriebe, auch den Priester lieben, der den Ministranten liebt und missbraucht. Die Liebe ist nichts, das nicht im Monströsen enden kann.

Schlink kann nicht schreiben, was die Leser gerne lesen, was sie nachdenklich und glücklich macht, sagt er. Er kann nur schreiben, was er schreiben kann. Offenbar reicht das aber, dass Leser es lesen wollen.

Oft werden ihm Orte zur Heimat, weil er über sie geschrieben hat, weil sie so mit Gefühlen verbunden wurden. Gleichzeitig ist ihm Heidelberg Heimat, der Ort, in dem er aufwuchs, der so oft in seinen Geschichten vorkommt. Auch das Haus seiner Großeltern in der Schweiz wurde ihm zur Heimat. Und wenn er heute an die Orte kommt, mit denen er heimatlich verbunden ist, sehen diese so ganz anders aus, dass sie keine Heimat mehr sind. Was ist überhaupt Heimat, was hat das Schreiben damit zu tun? fragt er sich.

Drei Essays, alle drei lesenswert, alle drei können hier inhaltlich nur angerissen werden in einer Rezension. Denn Schlink versteift sich nicht auf eine These, er kann Standpunkte wechseln, erörtert Für und Wider und zeigt, was diese oft missachtete Literaturgattung Essay" leisten kann.

Und am Schluss gesteht er uns: Dies ist die erste Einladung zu einer Poetikprofessur, die ich angenommen habe, und es ist die letzte. [...] Über der Vorbereitung habe ich gemerkt, was ich schon ahnte: Ich will mir eigentlich keine Gedanken über das Schreiben machen, nicht über mein Schreiben und auch nicht über das Schreiben anderer. Ich will Schreiben."

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