Die 27ste Stadt. Roman.
Jonathan Franzen, Rowohlt 2003



Hilfe, die Inder kommen!

"In den ersten Tagen des Juni gab Polizeichef William O'Connell vom St. Louis Police Department bekannt, dass er in den Ruhestand gehen werde, und ohne die Kandidaten zu berücksichtigen, die von der städtischen Oberschicht, der schwarzen Bürgerschaft, der Presse, dem Polizeibeamtenverband und dem Gouverneur von Missouri favorisiert wurden, berief der Polizeiverwaltungsrat für die fünfjährige Amtszeit eine Frau, die vorher bei der Polizei von Bombay, Indien, tätig gewesen war. Die Stadt war entsetzt, aber die Frau - eine S. Jammu - trat ihren Posten an, ehe sie jemand daran hindern konnte.
Das geschah am 1. August. Am 4. August, als der begehrteste Junggeselle von St. Louis eine Prinzessin aus Bombay heiratete, beschäftigte der Subkontinent die Lokalpresse erneut. [...] Eine zehnköpfige indische Familie wurde auf einer Verkehrsinsel einen Block östlich vom Cervantes Convention Center gesehen. [...] Man sah Inder, die sich ohne erkennbaren Grund auf der Fußgängerbrücke zwischen dem Kaufhaus Dillard's und dem St. Louis Centre aufhielten"
Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts prophezeite man St. Louis eine glänzende Zukunft als bedeutendster Metropole Amerikas voraus. Doch in den Achtziger Jahren ist es eine Stadt des Verfalls, auf Platz 27 der amerikanischen Städte abgerutscht.
Das will S. Jammu, der Export aus Indien, ändern. Mit sich bringt sie die besagte Braut des reichsten Junggesellen aus St. Louis und zahlreiche weitere Helfer, die für sie Bomben legen, damit das rasche Zupacken der Polizeichefin ihr einen Ruf verschafft, für sie Intrigen spinnen, die Frauen und Töchter der einheimischen Oberschicht verführen, um damit die Männer psychisch zu destabilisieren und auch sonst alles tun, was man von klugen Indern erwartet, von dem ein guter Amerikaner ja weiß, dass sie intrigant und reich sind. Ein Mix aus Abhöranlagen, Bombenanschlägen und sexueller Verführung sucht die führenden Familien der Stadt und den Leser heim, langsam bildet sich ein unzugänglicher Dschungel aus Korruption und Verschwörungen.
Gut geschrieben ist das Buch, mancher, der St. Louis kennt, mag die Strukturen erkennen, die Personen sind teilweise stimmig und doch lässt das Werk einen schalen Geschmack zurück. Haben sich keine weißen Bösewichter gefunden, keine einheimischen Intriganten für diese Kolportage? Mag sein, dass es ironisch gemeint war, doch davon bekommt der Leser nichts mit, außer einer Geschichte, die vor Unwahrscheinlichkeiten strotzt wie so mancher anderer Thriller, nur dass hier einfach die Spannung fehlt. Kein Wunder, dass es erst jetzt übersetzt wurde und hätte Franzen mit seinen "Korrekturen" nicht Furore gemacht, wäre dieses Werk in Deutschland immer noch unbekannt. Niemand hätte es vermisst. Dass Rowohlt das Buch herausgebracht hat, mag vom ökonomischen Standpunkt verständlich sein, aber es ist ganz sicher kein Buch, das man unbedingt lesen sollte. Wer dennoch nicht darauf verzichten will, sollte auf die Taschenbuchausgabe warten oder bei Amazon das ebenfalls billigere englische Original bestellen.

Über den Autor: Jonathan Franzen wuchs in einer Vorstadt von St. Louis auf, studierte in Berlin und München und lebt seit langem in New York. "Die 27ste Stadt" war 1988 sein erster Roman. Für die Korrekturen, sein drittes Werk, erhielt er 2001 den National Book Award.

Jonathan Franzen, Die 27.ste Stadt 2003, Rowohlt, Deutsch von Heinz Müller
ISBN 3-498-02087-0, gebunden, 670 Seiten, 24,90 €, Übersetzt von Sabine Herting

Jonathan Franzen, "The Twenty-Seventh City", Fourth Estate, ISBN 1841157481
Taschenbuch, ca 13 €

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