Der Mond ist unsere Sonne. Roman.
Nuran David Calis, S.Fischer, August 2011

Der Mond ist unsere Sonne

»Ich werde zurückkehren und Anschluss finden. Ich werde mich einnisten wie ein Parasit. In einer Gesellschaft, die ich mir nicht aussuchen konnte. Ich werde ein Held sein, wenn man in mir einen Helden sehen will. Ein Vorbild, wenn es sein muss. Ein abschreckendes Wesen, wenn es sein muss. Ich werde der Teufel sein, wenn sie in mir den Teufel sehen wollen. Ich werde spalten, ich werde zusammenführen. Ich werde Grenzen überwinden und Grenzen ziehen. Ich werde ein guter Junge sein, ich werde ein schlechter Junge sein. Ich werde meinen Namen, mein Geburtsdatum ändern, um dem Bild zu genügen, das man von mir haben möchte. Ich werde nicht ohne Grabstein und zu Asche verbrannt unter der Erde liegen. In einer Erde, in der ich nicht liegen will. Ich will nicht darauf hoffen, dass mich jemand dorthin bringt, wohin ich eigentlich gehöre. Ich will an dem Ort sein, an den ich mich sehne. Ich will nicht auf einem Berg verstreut werden. Von einem Sohn, der dort nicht zu Hause ist. Ich werde keine Kinder und keine Frau hinterlassen, die nicht das Geld haben, mein Grab zu pflegen und mir einen Grabstein aufzustellen. Ich will meine Familie und meine Freunde nicht in Trauer und Wut über mich zurücklassen.
Nur, weil ich arbeitslos geworden bin und das Trinken an gefangen habe. Ich werde anders sein. Ich werde ein Teil dieser Gesellschaft sein.«

Bielefeld Baumheide, dort kommt Alen her. Ein Stadtteil ohne Jugendzentrum, aber mit drei Moscheen, gebaut von saudischen oder iranischem Geld, wer weiß das schon, ein Stadtteil, in dem es keine Hoffnung gibt, so sagen sie alle.

Flo lebt nur einige Kilometer weiter, in der Innenstadt, grün-alternatives Bürgertum und die beiden sehen sich erst, weil sie an der gleichen Bushaltestelle umsteigen müssen, sprechen miteinander und dann verlieben sie sich. Romeo und Julia in Bielefeld? Nicht ganz, die Eltern sind nicht dagegen, das Umfeld aber schon. Und die Geschichte, soviel sei verraten, geht auch ganz anders aus.

Alen jedenfalls hat die Schule geschmissen nach dem Tod seines Vaters, war sowieso nur Gesamtschule. Flo macht das Abitur. Alen wird Türsteher in einem Club, er hält den Kopf für seinen Chef hin, hohes Risiko, deshalb gutes Geld. Aber was gibt es sonst noch? Geld, Geld ist das wichtigste in der Welt, das ist seine Überzeugung. In Flos Kreisen spricht man nie über Geld.

Und dann ist da Alens Cousin Karim. Auf ihn muss er aufpassen, das hat er der Großmutter auf dem Sterbebett versprochen. Doch Karim ist Straße: "Wenn er erkennt, dass es keine Chance für etwas gibt, dann hört er auf, darüber nachzudenken. Das ist Straße. Alles liegenlassen, was einen nicht sofort weiterbringt. Deshalb ist Liebe für Karim auch Schwäche."

Eine wunderschöne Liebesgeschichte, eine Wanderung zwischen zwei Welten, Geschichten aus einem Slum ganz ohne Sozialkitsch hat Nuran Calis geschrieben und auch eine Geschichte voller Hoffnung, wo es scheinbar keine gibt.

Rau, poetisch und fesselnd. Lesen!

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