Ulrike Meinhof. Biographie.
Jutta Ditfurth, Ullstein, März 2009

Ulrike Meinhof

Ulrike Meinhof ist umstritten, wie kaum eine andere Persönlichkeit der jüngsten deutschen Geschichte. Mittlerweile gibt es unzählige Literatur über sie, aber Jutta Ditfurth fand, dass diese sehr einseitig sei und hat eine eigene Darstellung von Ulrike Meinhof vorgelegt.

Die Autorin kann schreiben, das Buch liest sich gut und spannend. Und es bringt durchaus einige neue Aspekte, so zum Beispiel zu der NS-Vergangenheit des Vaters und dass die Ziehmutter Renate Riemeck ebenfalls NSDAP Mitglied war. Was diese ihr ganzes Leben lang verschwieg und an der Legende der Widerstandskämpferin strickte.

Sehr gut ist auch die Darstellung der Entwicklung Ulrike Meinhofs in den Fünfziger und Sechziger Jahren. Das Verhältnis zur Ziehmutter war keineswegs so eng, wie das gerne dargestellt wurde. Renate Riemeck vertrat zwar fortschrittliche Pädagogik, dennoch waren ihre Erziehungsmaßnahmen aus heutiger Sicht manchmal barbarisch.

Nichtsdestotrotz folgte Ulrike Meinhof zunächst dem Vorbild Renate Riemecks, sie vertrat die gleichen politischen Meinungen, sie traute sich wie ihre Ziehmutter als Frau in politische Männergesellschaften und übernahm dort erstaunlich schnell und erstaunlich oft Führungspositionen, z.B. In der Kampagne gegen den Atomtod, gegen Widerbewaffnung und in studentischen Gruppen.

Das politische Klima in den fünfziger und sechziger Jahren kann die Autorin gut darstellen und mit der Lebensgeschichte der Meinhof verbinden. Das ist die große Stärke des Buches. Interessant zum Beispiel, wie genau in Ostberlin der Ablauf von Kongressen vorgeplant wurde und die Teilnehmer manipuliert wurden. Wer allerdings glaubt, dass dies nur die SED tat, den enttäuscht Ditfurth. Diese Methode der Manipulation war auch bei der SPD und demokratischen Parteien beliebt. Kein Wunder, dass die antiautoritäre APO später solche Erfolge erzielte.

Doch nach der Mitarbeit bei Konkret, in der Hamburger Polit-Schickeria, später in der APO kam die RAF. Und hier verlässt Ditfurth leider den Kurs ihrer glaubhaften Darstellung. Sie erzählt eigene Versionen der RAF Geschichte, ohne auch nur einmal auf die zahlreichen anderen Darstellungen einzugehen. Statt ihre sehr eigenwillige Darstellungen zu begründen, steckt sie den Kopf in den Sand (pardon: in ihr Buch) und tut so, als gäbe es anderslautende Darstellungen gar nicht.

Ein Beispiel: Bei ihr wird die Situation der RAF in Stammheim in der Form einer Hofberichtserstattung geschildert. Alles sind einer Meinung, eine große Familie und lieb zu einander. Dass es durchaus glaubhafte Darstellungen gibt, die das Gegenteil nahelegen, damit setzt sich die Autorin nicht auseinander. Was natürlich den Schluss nahelegt, dass diese anderen Darstellungen nicht zu widerlegen sind und es tatsächlich schwere Differenzen und persönliche Anfeindungen zwischen der Meinhof und dem Rest der RAF gegeben haben dürfte.

Als Beleg für ihre Friede, Freundschaft, Eierkuchen Sicht zitiert sie ausgerechnet einen der Gefängnisbeamten. Doch mit denen vermieden die RAF-Gefangenen jeden Kontakt, weshalb dieser Beamte auch sagt, dass er zu eventuellen Streitigkeiten gar nichts sagen könne.

Dass Baader die Meinhof angeschrieen und niedergemacht hat, kann auch Jutta Ditfurth nicht leugnen. Doch das sei nicht so schlimm, "das habe Baader auch mit allen anderen gemacht". Tröstlich zu wissen. Wer Leute arrogant niedermacht, sollte daraus eine Gewohnheit machen, dann findet es Jutta Ditfurth gut.

Die Autorin konstruiert auch eine einheitliche Front gegen die RAF, eine Öffentlichkeit, in der nur die Meinung der Gegner bekannt werde. Dass sie allerdings zahlreiche SPiegel Zitate bringt, die sich sehr kritisch mit den Prozessen und Haftbedingungen auseinandersetzen, macht ihre Behauptung nicht sehr glaubhaft. Schließlich musste Regierung und Bundesanwaltschaft die anfängliche Isolationshaft (ja, Ulrike Meinhof war die ersten Monate in Isolationshaft) aufheben - der Druck der Medien und zahlreicher Prominenter war zu groß. In den Siebzigern konnte die Regierung längst nicht mehr so unangefochten gegen Gegner vorgehen, wie noch in den Fünfzigern und Sechzigern, das zeigt selbst Ditfurths Darstellung deutlich.

Ich erspare es mir und den Lesern, weitere Beispiele aus Ditfurths Manipulationen hier aufzuzeigen, wer mag, kann es selbst nachlesen. Der letzte Teil des Buches jedenfalls ist "Goldene Blatt"-Hofberichterstattung aus der RAF Monarchie mit Baader als King und Meinhof als liebliche Farah Dibah, die niemandem etwas Böses will. Ein wenig erinnert es an Sven Kellerhoffs «Die Stasi und der Westen: Der Fall Kurras», der zwar nicht die RAF, dafür aber den Springerverlag heilig sprechen möchte und ebenfalls alles weglässt, was nicht in seine Hofberichterstattung passt. Die Manipulationstechniken sind jedenfalls die gleichen.

Fazit: Die erste Hälfte des Buches liefert nicht nur ein paar neue Facetten zu Ulrike Meinhof, sie ist außerdem eine gutes Zeitkolorit der Fünfziger und Sechziger Jahre. Das letzte Drittel ist Hofberichterstattung. Ob man das lesen will, muss jeder selbst entscheiden.

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