Schlangenkopf. Krimi.
Ulrich Ritzel, btb, November 2011

Schlangenkopf

“Warum rennst du denn so?“ Aus der Dunkelheit der Baustelle löst sich ein Schatten und gleitet neben ihn. „Hast mal ne Zigarette?“
Zlatan ist Nichtraucher, aber er sagt, gerade vorhin habe er die letzte geraucht, „da vorne ist eine Kneipe, die hat noch offen“, sowieso habe er noch ein Bier trinken wollen, „da kriegen wir auch Zigaretten ...“
„So ein netter Kumpel“, sagt der Schatten, „nur blöd, ich lass mich nicht auf ein Bier und sonst noch was einladen, mit mir nicht, verstehst du?“
Und plötzlich hört Zlatan dieses metallische Klicken und der Schatten ist nicht mehr neben ihm, sondern vor ihm und drängt ihn zurück in die dunkle Ecke zwischen Bauzaun und brüchigem Gemäuer, ein Kerl in einem T-Shirt.

Zlatan ist Bosniake und lebt in Berlin als Kellner. Und eines sehr späten Abends raubt ihm ein türkischer Junge seine Lederjacke. Doch die bringt kein Glück, denn bald darauf wird der Räuber totgefahren, der Fahrer begeht Unfallflucht und für die Polizei ist der Fall klar. Doch der Vater des Jungen glaubt nicht an einen Unfall und beauftragt Hans Berndorf mit ERmittlungen. Der wohnt in der Nachbarschaft und ist Privatdetektiv. Früher war er Kripobeamter in Ulm.

Bald stellt sich heraus, dass es eine Menge Leute gibt, die an Ermittlungen so gar nicht interessiert sind. Das Kennzeichen des Wagens lässt sich nicht ermitteln, manches andere auch nicht; dafür spielen plötzlich alte Rechnungen eine Rolle. Die stammen aus den Neunziger Jahren, als im ehemaligen Jugoslawien ein Bürgerkrieg tobte und die Bürgerkriegsparteien Lager für die Menschen einrichteten, die leider der falschen Volksgruppe angehörten und deshalb unerwünscht waren. Manch einer nannte die Lager KZs, aber das war natürlich falsch, denn dort saßen nur Terroristen, sagten jedenfalls die Lagerleiter. Jetzt spielt plötzlich ein Foto eine Rolle, eines aus diesen Lagern und da ist Zlato ...

Ulrich Ritzel hat einen spannenden Krimi geschrieben mit zahlreichen Verwicklungen, schneller Handlung, die sich auf wenige Tage konzentriert; Berlin wird dort lebendig, aktuelle Politik und es ist ein Pageturner. Jedenfalls wenn man solche Krimis mag, bei denen viele verschiedene Handlungsstränge nebeneinander laufen und sich erst gegen Schluss vereinigen. Das hat ihm bereits für den Vorgänger „Beifang“ den deutschen Krimipreis 2010 eingetragen. Meiner Meinung nach zu Recht.

Aber er möchte auch etwas relevantes über zeitgenössische Politik sagen. Denn im Roman spielt nicht nur der jugoslawische Bürgerkrieg eine Rolle, sondern auch Firmen, die an ihm verdient haben. Und Politiker, die am Verdienst teilhatten und geheime Dienste, die auf dem Feuer des Krieges ihre eigene Suppe kochen wollten und jetzt keinerlei Lust haben, dass das bekannt wird.

Genügend Material sollte man meinen. Nur leider sind die politischen Bezüge ein bißchen dünn geraten, auch wenn das Buch superspannend ist. Dass die Bildzeitung im Roman nicht Bild heißt, ist nachvollziehbar, dass es aber jedesmals das "Lügenblatt" genannt wird, wirkt spätestens nach der dritten Wiederholung etwas, na sagen wir: zu gewollt literarisch korrekt. Und die Bezüge des BND und anderer Dienste, die im lange vergessenen Bürgerkrieg tatsächlich ihre jeweils eigenen Ziele verfolgten, sind ebenfalls etwas arg holzschnitzartig geraten. Ein bißchen mehr als geschäftliche Interessen waren schon in diesem Krieg versammelt und manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass heute BND und Verfassungschutz die Rolle spielen, die in manchen Regiokrimis den immer gleichen Serienmördern zugedacht wurde. Die üblichen Verdächtigen eben.

Dennoch bleibt es ein spannender Roman für alle Leser, die komplexe Handlungen zu schätzen wissen und dass es einen vergessenen Krieg wieder ins Bewußtsein rückt, ist sicher nicht falsch.

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