Rebellen. Roman.
Wolfgang Schorlau, KiWi, März 2013

Rebellen

»Das Erste, was er von Paul sah, war die Glut seiner Zigarette.
Zunächst dachte er, es sei eines jener selten gewordenen Glühwürmchen, die er manchmal abends von seinem Zimmer aus beobachtete, wenn sie drüben auf der anderen Seite des niederen Buchbaumszaunes ihre Tänze aufführten und so eigenwillige Kurven und Linien flogen, so schnell die Richtung ihres Fluges änderten, dass es ihm nie gelang, ihre Bahnen vorherzusagen. Doch dieses Glühwürmchen leuchtete jäh auf und verlosch gleich wieder. Alexander drückte sich enger an die Wand und schob die Gardine ein wenig weiter zur Seite. Er kniff die Augen zusammen, um durchs Dunkel besser sehen zu können, und drüben auf der Heimwiese verwandelte sich der Schatten in eine Kontur, und die Kontur wurde zur Gestalt, zur Gestalt eines Jungen, kaum älter als er, vielleicht schon dreizehn Jahre alt. Mit dem Rücken lehnte er gegen den Stamm des alten Apfelbaum und rauchte.
Unvermittelt überfiel ihn Neid. Ekelhafter, sündiger Neid. Neid, den er am Samstag würde beichten müssen.«

Alexander ist der Sohn eines Unternehmers in Freiburg, Paul lebt im benachbarten Waisenhaus. Der eine geht auf das Gymnasium, der andere tritt mit vierzehn eine Lehre an. Trotzdem und gerade deshalb werden sie Freunde. Es sind die sechziger Jahre, mit festgefügten Schranken zwischen oben und unten, wer wohin gehört, ist bereits mit der Geburt in Beton gegossen. Aber gleichzeitig die Zeit, in der Jugendliche diese Trennung immer mehr in Frage stellen. So werden Alexander und Paul Freunde, erleben 68 und die Auseinandersetzungen um die Fahrpreise in Freiburg, Demos und Paul genießt die Aufmerksamkeit, die ihm als Arbeiter plötzlich seitens der Studenten entgegenschlägt. Früher war er das Heimkind, mit dem niemand etwas zu tun haben wollte, jetzt prügeln sich die Studentinnen um ihn.

Heute ist Alexander Unternehmer, seine revolutionäre Vergangenheit hat ihm eine Menge beigebracht, das er jetzt nutzen kann. Paul hat das Rebellentum weitergetragen und jetzt ist er tot. Sie haben beide das gleiche Mädchen geliebt und Toni hat sich nie eindeutig für einen von ihnen entscheiden können.

Wolfgang Schorlau schildert die wilde Zeit Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger anschaulich, lässt lebendig werden, warum es damals zu der Jugendrevolte kam und was heute aus den Rebellen geworden ist. Machmal ist es ein bißchen klischeehaft, meist sehr genau geschildert.

Doch die Maoistenphase, die wird nur in wenigen Szenen angerissen. Warum sind diese Rebellen in den stalinistichen KBW eingetreten, haben übelsten Dogmatismus gepredigt und später die dort erlernten Techniken als Neoliberale weiter betrieben. Fast scheint es, sie hätten sich nicht geändert, sondern nur ihren politischen Ansichten einen neuen. cooleren Anstrich verpasst. Sieht man sich an, wieviele Ex-Maoisten heute in Wirtschaft und Politik führend sind, könnte ein Alien glauben, dass Mao kein Revolutionär, sondern ein Management-Guru war.

Romane über die Jugendrevolte rund um 68 gibt es viele, doch kaum welche, die sich mit dieser Mao-Phase beschäftigen. Schorlau ist zu danken, dass er es erstmals anreißt, aber schade, dass es nur am Rande des Romans geschehen ist.

Fazit: Spannender Roman über Rebellen, die in die Jahre und Amt und Würden gekommen sind, auch wenn die Liebe zu Mao und den diversen führenden Parteien der Arbeiterklasse etwas zu kurz kommt.

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